Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Patientenrechte und Prävention begrüßte die rund 160 Teilnehmenden der Veranstaltung: „Die seit 2009 in Kraft getretene UN-Behindertenrechtskonvention ist Ausgangspunkt unserer heutigen Veranstaltung. Einige wegweisende Urteile des Bundesverfassungsgerichts, die sich intensiv mit der Behandlung gegen den Willen von Patienten im Maßregelvollzug befasst haben, kommen inzwischen hinzu. Für Bündnis 90/Die Grünen stellt sich die Frage, ob diese Urteile auch für die konkrete Situation in der ambulanten und stationären psychiatrischen Behandlung Konsequenzen haben. Im Kern geht es um das Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und dem Schutz von Menschen in einer psychischen Krisensituation, die unter Umständen die Ausübung des individuellen Selbstbestimmungsrechts nicht mehr erlaubt. Wir haben insgesamt für diese Veranstaltung den Ansatz des Trialogs zu Grunde gelegt und deshalb Psychiatrieerfahrene, Angehörige und Menschen aus dem professionellen Hilfesystem gleichermaßen einbezogen. Umso wichtiger ist es, ein zentrales Prinzip des Trialogs wertzuschätzen: bei der Kommunikation die Kunst des Zuhörens und des Respekts von unterschiedlichen Perspektiven.“
Markus Kurth, sozial- und behindertenpolitischer Sprecher, beschäftigte sich sodann in seiner Begrüßung mit der Untätigkeit der Bundesregierung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. So würde die schwarz-gelbe Bundesregierung – wie auch ihre Vorgängerin, die schwarz-rote – die Auffassung vertreten, es bedürfe keiner gesetzlichen Veränderung im Betreuungsrecht sowie in den sogenannten Psychisch-Kranken-Gesetzen (Psych-KGs) der Bundesländer. Eine solch lapidare Äußerung würde der UN-Konvention nicht gerecht. Markus Kurth verwies auf ein Fachgespräch zum Thema „Anforderungen an das Betreuungswesen“, das die Grüne Bundestagsfraktion bereits am 6. Juni diesen Jahres veranstaltete. Auch dort ging es unter anderem um die UN-Behindertenrechtskonvention. Damals habe man angekündigt, eine eigene Veranstaltung zum Komplex „Zwangseinweisung und Zwangsmedikation“ zu veranstalten. Dieses auch für im Betreuungswesen Tätige wichtige Thema würde man nun heute in diesem Rahmen würdigen.
Keynotes
Die rechtliche Seite der Behandlung gegen den Willen von psychisch Erkrankten wurde in dem Hauptbeitrag von Dr. Rolf Marschner, Jurist und Sozialpädagoge, Fachanwalt für Sozialrecht und Autor zahlreicher Beiträge zu den Rechten behinderter und psychisch kranker Menschen dargestellt. Dr. Marschner begrüßte es, dass jetzt auch eine im Bundestag vertretene Fraktion die UN-Behindertenrechtskonvention und die verschiedenen jüngsten Urteile des Bundesverfassungsgerichts zur Unterbringung und Zwangsbehandlung aufgreift und zu einer politische Bewertung von Behandlungen gegen den Willen von psychisch Kranken kommen will. Auch die Monitoringstelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte befasst sich mit dem Thema.
Grundsätzlich wird im Recht unterschieden zwischen der Unterbringung nach dem Betreuungsrecht und dem Unterbringungsrecht der Länder (Psychisch-Kranken- bzw. Unterbringungsgesetze sowie Maßregelvollzugsgesetze). Auch die Unterbringung und Behandlung gegen den Patientenwillen ist nach heutiger Auffassung Teil der Krisenintervention im System der psychiatrischen Hilfen und keine polizeirechtliche Maßnahme.
Durch die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.03. und vom 12.10.2011 wurden für eine Behandlung gegen den Patientenwillen sehr enge Grenzen gesetzt. Danach ist eine Zwangsbehandlung allenfalls dann zulässig, wenn erhebliche Gefahr für das eigene Leben und die eigene Gesundheit in einer akuten Krise besteht und gleichzeitig eine krankheitsbedingte Entscheidungsunfähigkeit des Betroffenen vorliegt. Ferner darf der Betroffene von seinem Selbstbestimmungsrecht noch keinen Gebrauch gemacht haben. Denkbar wäre dies durch eine Patientenverfügung oder eine Behandlungsvereinbarung. Solche Verfügungen müssen in einer Phase der Entscheidungsfähigkeit getroffen worden sein und hinreichend eindeutig beschreiben, welche Behandlung der Patient akzeptiert bzw. welche abgelehnt wird.
Dem Bundesverfassungsgericht zu Folge handelt es sich bei Zwangsbehandlungen gegen den Willen der Betroffenen um schwere Grundrechtseingriffe. Eine Zwangsbehandlung darf nur solange ausgeübt werden, wie sie zur Erreichung der krankheitsbedingt beeinträchtigten Willensbestimmung des Patienten zwingend erforderlich ist. Es muss davor versucht werden, eine auf Vertrauen gründende Zustimmung des Betroffenen zu erreichen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebietet es, dass genügend Zeit zur Verfügung stehen muss, eine Entscheidung des Patienten darf nicht unter Druck herbeigeführt werden. Die Behandlung gegen den Willen darf keine unverhältnismäßige Belastung darstellen, insbesondere keine irreversiblen Folgen haben, und mildere Mittel bezogen auf das Behandlungsziel dürfen keinen Erfolg versprechen. Zur verfahrensrechtlichen Absicherung muss der Betroffene vor dem Zwangseingriff die Gelegenheit haben, eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. Eine Behandlung gegen den Willen des Betroffenen zum Schutz Dritter wurde ausgeschlossen.
Dr. Marschner formulierte aufgrund der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) und höchstrichterlicher Entscheidungen folgende Forderungen an die Politik:
- Streichung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) mit der Folge, dass eine Zwangsbehandlung nach Betreuungsrecht nicht mehr möglich ist, zumindest aber die Anpassung des § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB an die Vorgaben des BVerfG und der UN-BRK.
- Zwingend sei eine Anpassung der Psychisch-Kranken-Gesetze bzw. der Unterbringungsgesetze sowie Maßregelvollzugsgesetze der Länder an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
- Zur verfahrensrechtlichen Absicherung wurde eine Pflichtberatung für eine verbindliche Patientenverfügung oder eine Behandlungsvereinbarung vorgeschlagen. Eine Behandlungsvereinbarung ist nach Darlegung von Dr. Marschner eine Form der Patientenverfügung, die den Vorteil hat, dass sie zwischen dem behandelnden Arzt und dem Betroffenen abgeschlossen worden ist. Der Arzt bestätigt gleichzeitig damit, dass der Patient einwilligungsfähig war.
- Eine Zwangsbehandlung sollte frühestens nach einer Karenzzeit von drei Tagen einer Unterbringung erfolgen dürfen, damit davor genügend Zeit zur Klärung des Willens des Betroffenen und Anrufung eines Gerichts besteht.
[Präsentation Dr. Rolf Marschner]
[Artikel Dr. Rolf Marschner]
Die angekündigte Referentin Eva Moll-Vogel, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Celle war krank geworden. An ihrer Stelle hat erfreulicherweise kurzfristig Annette Loer, Richterin am Amtsgericht Hannover mit dem Schwerpunkt Betreuungsrecht diesen Part übernommen. Annette Loer konzentrierte sich in ihrem Beitrag auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor Gericht, vor allem nach dem Betreuungsrecht. Sie legte dar, dass Frau Moll-Vogel 2005 mit ihrem Senat bei dem Streit um die Auslegung des § 1906 Abs.1 Zif 1 BGB maßgeblich zur Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) 2006 zur Zwangsbehandlung beigetragen hat, indem sie darauf hinwies, dass das Betreuungsrecht keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung biete. Der BGH war damals allerdings der Auffassung gefolgt, dass ein rechtlicher Betreuer in engen Grenzen doch die Befugnis habe, ärztliche Maßnahmen auch gegen den entgegenstehenden Willen der Betreuten durchzusetzen.
Frau Loer betonte aber auch, dass angesichts der UN-Behindertenrechtskonvention und der beiden jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Zwangsbehandlung auch nach Betreuungsrecht erneut auf dem Prüfstand stehe. Sie war aber der Auffassung, dass – anders als die Regelungen der Unterbringungsrechte der Länder – das Bürgerliche Gesetzbuch unter engen Grenzen der Verhältnismäßigkeit weiterhin angewendet werden könne.
Grundsätzlich muss sich der Betreuer am Wohl und Willen des Betreuten orientieren. Ist der Betreute aktuell einwilligungsunfähig, muss der Betreuer das Vorliegen einer Patientenverfügung und die Festlegungen zu einer Heilbehandlung oder einem ärztlichen Eingriff überprüfen und berücksichtigen. Fehlt eine schriftliche Festlegung, so muss der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Betreuten feststellen und auf dieser Grundlage weitere Entscheidungen treffen. Frau Loer betonte, dass viele Betreute es vorziehen, wenn der Betreuer, zu dem sie Vertrauen haben, diese Abwägung trifft, statt eines ärztlichen Gutachters, der sie nicht kennt. Eine Unterbringung gegen den Willen des Patienten ist auf Grundlage des § 1906 BGB nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts zulässig. Soll in diesem Rahmen eine Zwangsbehandlung durchgeführt werden, unterliegt auch diese einer strengen gerichtlichen Prüfung. In Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist durch das Gericht zu prüfen, ob die Behandlung geeignet ist, um damit die Selbstbestimmung des Patienten zu erreichen. Dabei sind die kurz- und langfristigen Folgen einer Behandlung gegen den Patientenwillen mit einzubeziehen. Nach dem Maßstab der Erforderlichkeit ist zu fragen, ob es anderweitige Hilfen zur Krisenintervention gäbe, die ohne Zwang zu demselben Ziel führen könnten. Nach dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit muss dann die Schwere des Eingriffs in die Grundrechte im Kontext zur Schwere der Erkrankung und des drohenden Schadens abgewogen werden. Frau Loer betonte, dass diese komplizierten Abwägungsfragen hohe Anforderungen sowohl an die Richter als auch an die Betreuer stellen. Es sei nämlich keine abstrakte Güterabwägung durchzuführen, sondern zu fragen, wie der Betroffene jetzt selber vermutlich entscheiden würde. Die Praxis zeige, dass – neben der Verbesserung des psychiatrischen Hilfesystems – mit einer Fortbildungsoffensive sowohl für die Richter als auch für die Betreuer die „schmuddelige Wirklichkeit“ von psychiatrischer Zwangsbehandlung erheblich verbessert werden könnte.
[Handout Dr. Annette Loer]
[Text zur Patientenverfügung]
Panel 1
Inwiefern die Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen gestärkt werden können, bewerteten sodann Vertreterinnen und Vertreter einer Betroffenenen- und einer Angehörigenorganisation sowie eines Psychiaters. Dieses Panel wurde von Markus Kurth, dem sozial- und behindertenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen moderiert. Dagmar Barteld-Paczkowski, Vorstand des Bundesverbandes Psychiatrie Erfahrener (BPE) e.V., machte eingangs klar, dass sie nicht den Anspruch erhebe, für alle Menschen mit psychischen Erkrankungen zu sprechen. Sie könne aber aus eigener Erfahrung berichten, mit welch traumatischen Erlebnissen Unterbringungsprozesse gegen den Willen verbunden seien. Sie sprach sich daher dafür aus, dass alle Menschen über die Möglichkeit einer Patientenverfügung und über Behandlungsvereinbarungen in einem Gespräch aufgeklärt werden müssten. Frau Barteld-Paczkowski kritisierte ferner, dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Bezug auf die Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen noch nicht umgesetzt sei. Eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen habe außerdem keine Aussicht auf Erfolg. Vielmehr sollte oberste Handlungsmaxime sein, den Menschen zu verstehen.
[Handout Dagmar Barteld-Paschkowski]
Frau Gudrun Schliebener, Vorsitzende vom Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker (BapK) e.V., sprach sich im Anschluss ganz vehement für eine Stärkung der Rechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen aus, da Familienangehörige aus ihrer Sicht oft außen vor gelassen würden. Frau Schliebener betonte, dass zu den Rechten der Betroffenen auch das Recht auf Behandlung gehöre. Dies sei insbesondere bei der Abwehr von erkennbaren Gefahren für Leib und Seele, sowohl bei Betroffenen selbst, als auch gegenüber Dritten zu berücksichtigen. Gesetzlichen Änderungsbedarf sah Frau Schliebener unter anderem in der Vereinheitlichung der Rechtsgrundlagen zur Behandlung, die sich prioritär mit den zur Verfügung stehenden Hilfen befassen müssten. Es könne nicht sein, dass jedes Bundesland verschiedene gesetzliche Regelungen vorhalte. Auch in Zuständen mangelnder Einwilligungsfähigkeit bzw. in akuten Krankheitsphasen gehörten die Rechte auf niedrigschwellige Hilfen, vorbehaltlose Information über alle Therapien sowie das Recht auf freie Wahl der Wohnform nicht eingeschränkt.
[Handout Gudrun Schliebener]
Aus Sicht der Psychiater machte Nils Greve, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Tagesklinik Solingen, auf das schwierige Spannungsverhältnis zwischen Selbstbestimmung und Verpflichtung, das Leben der Betroffenen zu schützen, aufmerksam. Es sei seiner Einschätzung nach zynisch eine Behandlung gegen den Willen der Betroffenen als ultimo ratio abzulehnen. Allerdings würde die Frage der Selbstbestimmung in der Praxis viel zu häufig missachtet. Eine Behandlung gegen den Willen sei immer traumatisierend und mitnichten dazu geeignet, die freie Willensbildung wiederherzustellen. Zudem sei die Aufklärung von Wirkungen und Nebenwirkungen einer Behandlung in der Praxis völlig unzureichend.
[Präsentation Nils Greve]
In der anschließenden Diskussion sprachen sich viele Psychiatrieerfahrene dafür aus, die gesetzlichen Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen zu verbieten. Angesichts der geschilderten Praxisbeispiele, die fernab der gesetzlichen Regelungen verliefen, seien nunmehr die Gesetzgeber in Bund und Ländern gefordert. Untergesetzlich könnten die bestehenden Beschwerdestellen auf Grund mangelnder personeller Kapazität nur wenigen Fällen nachgehen. Aus Sicht der Praxis des Betreuungsrechts wurde kritisiert, dass Hilfeplanung im Vorfeld einer Zwangsmaßnahme oft aus Kostenerwägungen nicht zur Verfügung ständen. So seien etwa Sozialhilfeträger und Krankenkassen sehr restriktiv in der Bewilligung beantragter Leistungen. Zu erwägen sei, dass dem Betreuungsgericht künftig die Möglichkeit geschaffen würde, soziale Hilfen anzuweisen. Insgesamt sei allerdings zu beobachten, dass das Angebot an aufsuchenden Hilfen und psychiatrischen Diensten in den vergangenen Jahren abgenommen habe.
Panel 2
In diesem Panel wurden Ansätze zur Stärkung der Selbstbestimmung von psychisch Kranken und ihren Angehörigen beispielhaft vorgestellt.
Die Behandlungsvereinbarung stellte Andrea Mrazek, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer und Psychologische Psychotherapeutin vor. Die Bundespsychotherapeutenkammer habe es sich zum Anliegen gemacht, das Selbstbestimmungsrecht der Patienten auch an den Grenzen der Einwilligungsfähigkeit zu achten. Deshalb habe die Bundespsychotherapeutenkammer verschiedene Instrumente entwickelt, die die Souveränität und Autonomie von Patienten stärken, u.a. eine Checkliste für Einrichtungen der Psychiatrie und Psychosomatik. Die Behandlungsvereinbarung habe den Vorteil, dass Patient und Behandler eine Vereinbarung treffen. Derzeit würde dieses Instrument nur freiwillig und oft unverbindlich eingesetzt. Damit es wirksam wird, wäre aber eine verbindliche, gesetzliche Grundlage erforderlich.
[Präsentation Andrea Mrazek]
[Handout Andrea Mrazek]
Prof. Dr. Thomas Bock betonte, dass aus seiner Sicht die Psychiatriereform an vielen Stellen nicht zu Ende geführt worden sei. Aus seiner Sicht als Leiter der Krisentagesklinik der Uni Hamburg gehörten dazu beispielsweise bezahlbarer Wohnraum und Erwerbsintegration von Menschen mit einer psychischen Erkrankung. Es sei das Verdienst von Dorothea Buck, dass in Hamburg ein Diskurs auf Augenhöhe als Trialog zwischen Patienten, Angehörigen und Behandlern aufgebaut werden konnte. Mit Unterstützung der EU wurden 2005 bis 2007 in einem länderübergreifenden Projekt ein Curriculum für die Ausbildung von Psychiatrie-Erfahrenen zu Genesungshelfern entwickelt. Inzwischen würden auch Angehörige in diesen Ansatz einbezogen. Von Peer-Beratung profitierten alle Beteiligten. In Hamburg würden inzwischen in allen Klinikambulanzen Peer-Berater eingesetzt. Trialogisches Vorgehen verbessere das gegenseitige Verständnis und erleichtere die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache. Prof. Bock forderte, dass Betroffene als besondere Experten auf allen Ebenen zukünftig mehr einbezogen werden sollten.
[Präsentation Prof. Dr. Thomas Bock]
[Handout Prof. Dr. Thomas Bock]
Das Weglaufhaus verstehe sich als antipsychiatrische Kriseneinrichtung, betonte Christiane Carri, Sozialarbeiterin im Weglaufhaus Villa Stöckle in Berlin. Da die Arbeit über die Wohnungslosenhilfe finanziert werde, sei das Weglaufhaus ein Zufluchtsort für Menschen mit einem eng definierten sozialhilferechtlichen Anspruch, die Finanzierung sei oft prekär. Die Bewohner erhielten eine intensive Krisenbegleitung und Unterstützung bei finanziellen, rechtlichen und sozialen Problemen. Viele Betroffene empfänden die Bezeichnung ihres Erlebens als psychisch krank nicht als hilfreich, sondern vielmehr als Enteignung der eigenen Wahrnehmung. Das Weglaufhaus verstehe sich als Ort, der sich von der sozialpsychiatrischen Tradition abgrenzt; die Hilfe solle aus dem medizinischen Kontext herausgenommen werden. Die Bewohner könnten alle Berichte und Aufzeichnungen einsehen und an Teamsitzungen teilnehmen. Das Team bestehe zu mindestens 50 % aus Mitarbeitern, die selbst einmal Patienten in der Psychiatrie waren. Den Bewohnern werde zuallererst dabei geholfen, an ihren individuellen Zielen zu arbeiten.
[Handout Christiane Carri]
Beate Lisofsky, Pressesprecherin des Bundesverbands der Angehörigen psychisch Kranker stellte das Projekt „SeeleFon“ vor. Das bundesweite Beratungsangebot existiere erst seit Juli 2011, es wurde durch den Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. mit Unterstützung der Techniker-Krankenkasse als niedrigschwelliges und anonymes Angebot zur Erstberatung entwickelt. Die Berater seien ehrenamtlich tätige Menschen aus verschiedenen Bereichen der gesundheitlichen Selbsthilfe bei psychischen Erkrankungen. Durch eigene, teilweise sehr unterschiedliche Betroffenheit – als Erkrankte oder als Angehörige – verfügten sie über ein großes gemeinsames Erfahrungspotential. Vorrang habe die Hilfe zur Selbsthilfe; sie könne keine Therapie, Krisenintervention oder langfristige Begleitung sicher stellen, sondern sei subsidiär angelegt. Bisher werde das Angebot überwiegend von Angehörigen beansprucht, zu einem kleineren Teil durch selbst Erkrankte.
[Präsentation Beate Lisofski]
Bei der anschließenden Diskussion wurden die Patientenverfügung und Behandlungsvereinbarung kontrovers diskutiert. Ein Nachteil der Patientenverfügung, die mit keinem Arzt besprochen worden ist, kann darin bestehen, dass sie nicht anerkannt wird. Viele organisierte Psychiatrieerfahrene bewerteten dies kritisch. In keiner anderen medizinischen Disziplin werde der Willen von Patienten so ignoriert, wie in der Psychiatrie. Bisher greift die Behandlungsvereinbarung erst nachdem bereits ein psychiatrischer Aufenthalt vorgeschaltet war. Von vielen Betroffenen wurde die Behandlung in der Psychiatrie als Bestrafung für nicht angepasstes Verhalten erlebt. Ein Übermaß von Behandlung gegen den Willen von Patienten wurde auch als Ergebnis von mangelhaft ausgebauten ambulanten Hilfeangeboten bewertet. Der Umfang von psychiatrischer Zwangsbehandlung sei regional sehr unterschiedlichen und verweise auf die verschiedenartige Praxis der Gerichte. Auch der Bedarf an Qualifizierung der Betreuer wurde von vielen betont. Die Rolle von psychisch Kranken als Patienten müsse gestärkt werden. Die einschlägigen Gesetze, die eine Behandlung gegen den Willen von psychisch Kranken erlauben, müssten zu Patientenschutzgesetzen umgebaut werden.