Fachgespräch am 17. Mai 2010
„Ich habe große Sorge, dass der Gesetzentwurf von schwarz-gelb nicht schnell genug vorgelegt wird. Die Modellphase läuft bereits Ende des Jahres aus und die Regierung verweist auf Nachfrage nur auf den Koalitionsvertrag. Eine Unterbrechung der Angebote ist die Folge, falls schwarz-gelb nicht zügig handelt“, erklärte Maria Klein-Schmeink. Die Sprecherin für Prävention und Patientenrechte der Bundestagsfraktion betonte in ihrer Begrüßung den hohen Stellenwert einer unabhängigen und kostenfreien Patientenberatung für die Stärkung der Patientenrechte. Ziel der grünen Fraktion sei die Unabhängige Patientenberatung nach der Modellphase zügig und ohne Übergangsregelungen in die Regelversorgung so zu überführen und auszubauen, dass sie auch zukünftig die hohen Qualitätsanforderungen einlösen kann. Eine gute Kooperation mit der Selbsthilfe, der Verbraucherberatung, anderen Kooperationspartnern der gesundheitlichen und sozialen Versorgung sowie eine solide Finanzierung unter Einbeziehung der Privaten Krankenkassen seien hierfür die entscheidenden Voraussetzungen, damit die Beratung professionell, unabhängig und kostenfrei sein kann.
Bündnis 90/Die Grünen drängen auf eine zügige Regelung, welche die Erkenntnisse aus der Modellphase mit einbezieht und die Unabhängige Patientenberatung dynamisch erweitert. In der nächsten Ausbauphase sollen für je 2,5 Millionen Einwohner eine Beratungsstelle eingerichtet werden.
Im Folgenden sind die Ergebnisse des Fachgesprächs dokumentiert:

Was muss Patientenberatung leisten?
Alle Informations- und Beratungsangebote sollen gemeinsam dazu führen, dass verständliche und korrekte Information und Beratung über Gesundheit und Krankheit, Möglichkeiten der Prävention und Gesundheitsförderung sowie der Versicherung, Behandlung, Versorgung und Unterstützung alle Menschen erreichen, die diese benötigen, also Gesunde, Gefährdete und Erkrankte. Ein noch ungeklärtes Problem seien die sozial ungleichen Durchsetzungschancen im Gesundheitssystem, stellte Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Leiter der Forschungsgruppe Public Health am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat zur Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands, fest. Menschen mit ungünstigen Lebensbedingungen hätten den schlechtesten Zugang zu Leistungen des Gesundheitswesens, wobei diese am meisten darauf angewiesen seien. Eine der wesentlichen Anforderungen an die Beratungsstellen sei deshalb der räumlich, zeitlich und sozial niedrigschwellige Zugang. Weitere wichtige Voraussetzungen für mehr Nutzerkompetenz und bessere Versorgungsergebnisse sah Rosenbrock in der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit, transparenten Organisation und Finanzierung sowie einer professionellen Interessenvertretung. Die Beratung könne nicht bei Informationsvermittlung stehenbleiben. Oft sei im Einzelfall die eigentliche Problemklärung wichtiger. „Wir dürfen die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) dabei nicht zum Ausfallbürgen für das, was im Gesundheitssystem nicht funktioniert machen“, so Rosenbrock.
» Präsentation von Prof. Dr. Rolf Rosenbrock (PDF)

Wie arbeitet die Unabhängige Patientenberatung Deutschland?
„Viele finden uns eher spät. Oft sind wir zweite oder dritte Anlaufstelle für Patienten, die nicht weiter kommen“, berichtete Gregor Bornes, Berater in der Kölner Patientenberatungsstelle und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und –initiativen. Dies sei auch das Problem einer „Komm-Struktur“. Im Durchschnitt hätten die UPD-Beratungsstellen 7000 Kontakte im Monat beziehungsweise 16 Kontakte am Tag. Damit seien die Kapazitäten vor Ort voll ausgelastet. Denn neben der Beratung hätten die Mitarbeiter der Unabhängigen Patientenberatungsstellen viel Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzungsarbeit zu leisten. Jede Beratungsstelle sei lediglich mit drei 0,7 Stellen ausgestattet. Die Aufstockung auf volle Stellen könnte dazu beitragen, die Beratungsstellen noch gezielter bekannt zu machen, um diejenigen zu erreichen, die den größten Beratungsbedarf haben. Derzeit kämen viele Anfragen von gut informierten und sehr selbständigen Patienten, die sich im konkreten Einzelfall Rat holen. Die verschiedenen Beratungsstellen und regionalen Unterstützungsangebote würden eng zusammenarbeiten und sich ergänzen.
„Bei psychosozialem Beratungsbedarf stellen wir uns die Frage, welche anderen Beratungsstellen es vor Ort gibt. Soziale Beratung etwa bei Obdachlosigkeit muss an anderer Stelle erfolgen. Dazu bedarf es einer intensiven regionalen Vernetzung“, antwortete Bornes auf die Frage, wie psychisch Kranke oder Menschen in einer schwierigen sozialen Lage erreicht werden. Für Ältere mit mehreren chronischen Erkrankungen oder MigrantInnen gäbe es zum Beispiel eine Vernetzung mit Senioren- oder MigrantInnennetzwerken. Das Ziel vor allem sozial schwache Patienten zu erreichen, die sich nicht selbst helfen können, müsse in der nächsten Phase des Ausbaus der Beratungsstellen durch eine wissenschaftliche Begleitung zu Versorgungsbedarfen untermauert werden, forderte Bornes.
» Präsentation von Gregor Bornes (PDF)

Aufgaben der Schiedsstellen der Ärztekammern
Wenn Streitigkeiten zwischen Arzt und Patient nicht behoben werden können, verweisen die Patientenberater der UPD-Beratungsstellen auf die Schlichtungsstellen der Ärztekammern. Diese kümmern sich um Schäden durch Behandlungsfehler. Die Beweislast liegt dabei beim Patienten. „Die Grundsätze der Schlichtungsstellen sind Konfliktlösung, die Verbesserung des Klimas zwischen Arzt und Patient, Objektivität, Sachkompetenz und Barrierefreiheit“, erläuterte Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik, Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. Die Verfahrensdauer liege im Schnitt bei 14 Monaten. Bei 91 Prozent der Fälle komme es zu einer außergerichtlichen Klärung. Nach dem Schlichtungsantrag würden die Verfahrensvoraussetzungen und der Sachverhalt geklärt, bevor ein externes Gutachten erstellt und zur Grundlage der Beurteilung der Haftungsfrage gemacht würde. Beim Auftauchen neuer Tatsachen komme es zu einer erneuten Beurteilung. Die häufigsten Patientenvorwürfe beträfen die Fachgebiete der Chirurgie und Orthopädie, Innere Medizin und Frauenheilkunde. Bei 29,3 Prozent der Fälle würden Behandlungsfehler und Risikoaufklärungsmängel festgestellt. Eine wichtige Aufgabe für die Zukunft sei die Einbeziehung eines Patientenvertreters in die Schlichtungsverfahren.
» Präsentation von Prof. Dr. med. Walter Schaffartzik (PDF)

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe?
„Patienten suchen authentische Beratung. Selbsthilfeinitiativen stehen für Expertenwissen aus eigener Betroffenheit, beinhalten das Versprechen auf Glaubwürdigkeit und Kompetenz und werden als unabhängige Informationsquelle genutzt. Deshalb wollen Selbsthilfeorganisationen als Teil der Beratungslandschaft wahrgenommen werden“, betonte Karin Stötzner, Leiterin der Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle Berlin (SEKIS). Die Zusammenarbeit zwischen Selbsthilfe und UPD-Beratungsstellen sei von Respekt geprägt, basiere auf der Anerkennung der unterschiedlichen Terrains und Qualitäten und ergänze sich in ihrer Unterschiedlichkeit. Probleme in der Zusammenarbeit entstünden durch Ungleichgewichte in der Finanzierung und der Verfügbarkeit in der Fläche. Die Selbsthilfe solle in das Konzept der Unabhängigen Patientenberatung eingebunden werden. Zudem seien zentrale Vermittlungs- und Beratungsinstanzen zu schaffen. Als Zukunftsmodell wünschte sich Karin Stötzner, die auch Patientenbeauftragte in Berlin ist, die „Berliner Mischung“ modellhaft weiterzuentwickeln. In Berlin gäbe es neben der Unabhängigen Patientenberatung in der Trägerschaft eines Sozialverbandes Patientenberatung mit juristischem Fachverstand und Länderförderung bei der Verbraucherzentrale sowie ein flächendeckendes Netz von Selbsthilfekontaktstellen und die Patientenbeauftragte mit der Nähe zur Politik. In dieser Funktion leiste sie Politikberatung und Interessensvertretung von Patienten, leite Beschwerden weiter und stelle Versorgungsprobleme fest.
» Präsentation von Karin Stötzner (PDF)

Kooperation von Verbraucherberatung und Patientenberatung
„Ohne die UPD-Beratungsstelle könnte die Verbraucherzentrale ein stark nachgefragtes Beratungsgebiet nicht anbieten, ohne die Verbraucherzentrale wäre die UPD-Beratungsstelle ziemlich auf sich allein gestellt. Beide profitieren gegenseitig voneinander“, stellte Dr. Ralph Walther, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Thüringen, fest. Während der Schwerpunkt der UPD bei Beratung, Information und Aufklärung liege, ergänze die Verbraucherberatung mit Rechtdurchsetzung und Interessensvertretung. Das Vertrauen in beide sei groß. Allerdings seien nur 8 Verbraucherzentralen an den UPD-Beratungsstellen beteiligt, es gäbe kein homogenes Angebot und große Verbraucherzentralen blieben bei der Vergabe der Standorte außen vor. Für die Weiterentwicklung seien noch bestehende Probleme zu lösen. Zum einen führe die Überbetonung der Lotsenfunktion der UPD-Beratungsstellen im Gesundheitsdschungel dazu, dass Ratsuchende mit Problemen im System zwischen den Stühlen landen würden und bei Einzelschicksalen die Verweismöglichkeiten begrenzt seien. Die Vernetzung als Qualitätskriterium koste viel Zeit und gefährde die Unabhängigkeit. Ungenutzte Potenziale lägen in der Öffentlichkeitsarbeit, der systematischen Fallaufbereitung und der Rückmeldung ins Gesundheitssystem. Es habe bislang wenig Konsequenzen, wenn Behandler gegen Standards verstießen. Hier lägen die ungenutzten Chancen für die Zukunft.
» Präsentation von Dr. Ralph Walther (PDF)

Patientenberatung als selbstlernendes System weiterentwickeln
In der Abschlussdiskussion erörterten Astrid Burkhardt, Erwin Dehlinger und Maria Klein-Schmeink, aufgeworfene Fragen und die daraus resultierenden Perspektiven der Weiterentwicklung der Unabhängigen Patientenberatung. Die Erfahrung habe gezeigt, 22 Beratungsstellen deutschlandweit reichen nicht aus, betonte die Sprecherin für Prävention und Patientenrechte der grünen Fraktion Maria Klein-Schmeink. Ziel der Fraktion seien 31 Beratungsstellen für die nächste Ausbaustufe. Das entspräche einer Beratungsstelle für je 2,5 Millionen Einwohner. Zur Finanzierung müsse auch die Private Krankenversicherung mit herangezogen werden. Bei der regionalen Verteilung sollten die Bundesländer ein Vorschlagsrecht erhalten. Die Vielfalt der Angebote solle erhalten bleiben. Die Geschäftsführerin der Bundesgeschäftsstelle der Unabhängigen Patientenberatung Astrid Burkhardt stellte klar „Wir können momentan nicht noch mehr Nachfrage händeln. Bei der Hotline der Unabhängigen Patientenberatung kommen gar nicht alle durch. Der Bedarf für den Ausbau ist da. Wir haben mit dem Modell gezeigt und gelernt, wie es geht. Wenn man dieses Modell richtig findet, wäre es ratsam, die Zahl der Beratungsstellen zu erhöhen. Die Beteiligung der Privaten Krankenversicherungen (PKV) ist sinnvoll, denn zehn Prozent unserer Anfragen kommen bereits von PKV-Versicherten“. Erwin Dehlinger vom Bundesverband der AOK ging ebenfalls davon aus, dass es noch Spielräume für weitere Beratungsstellen gibt. Zudem seien die 0,7 Stellen der Patientenberater in volle Stellen umzuwidmen. Der Gesetzgeber müsse die PKV in die Finanzierung einbeziehen. Die kontinuierliche Qualitätssicherung bleibe eine Herausforderung.