» Artikel
Berlin – Die Grünen – gibt es auch noch. Das wäre die aktuelle Wahrnehmung in Zeiten des schwarz-gelben Koalitions-Tauziehens, wenn es nur um die Bundespolitik ginge. Doch dass sie im Saarland ein Bündnis mit CDU und FDP vorbereiten, hält das Interesse an den Ökopaxen wach.
„Jamaika“: Der Bundesparteitag der Grünen am kommenden Wochenende in Rostock bekommt unversehens ein zentrales Reizwort – und könnte doch noch spannend werden. Ein Kräftemessen der Landespolitiker mit den Bundesgrößen zeichnet sich ab.

Zwar heimsten die Grünen soeben bei der Bundestagswahl deutlich mehr Plätze im Parlament ein. Doch sie bleiben die kleinste Oppositionstruppe. Es wirkt geradezu rührend, wie Jürgen Trittin die Backen voll nimmt: Die SPD sei mit sich selbst beschäftigt, die Linken arbeiteten sich an der SPD ab – „Wir tragen als einzige handlungsfähige Oppositionspartei eine besondere Verantwortung.“

Das Erscheinungsbild der Bundestagsfraktion mag nicht so recht dazu passen. Einerseits: 26 neue Mitglieder, darunter Maria Klein-Schmeink aus Münster – von der „taz“ als eine Frau beschrieben, mit der sich „die Linksverschiebung personell abbildet“, die „an diesem Linksruck mitgearbeitet“ habe. Andererseits: Die Wahl des Spitzenpersonals deutet auf eine Fortsetzung der ausgeleierten Routine hin: Renate Künast und Jürgen Trittin – zwei Regierungsmitglieder aus längst vergangenen rot-grünen Tagen.

Ergraute Grüne als Vorzeigepolitiker der Bundestagsfraktion, frischer Jamaika-Wind aus dem Saarland: In Rostock wollen die Landespolitiker das Sagen in der Partei übernehmen: „Jetzt kommt die Kraft aus den Ländern“, gibt sich der Berliner Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann selbstbewusst.

Und während sich die Bundestagsgrünen auf unermüdliches – und ziemliches folgenloses – Eindreschen auf Schwarz-Gelb programmieren, geben sich die Länder- Grünen scheuklappenfrei. „Sowohl die SPD als auch die Linkspartei und die traditionell konservativen Parteien müssen Gesprächspartner sein“, findet die nordrhein-westfälische Fraktionschefin Sylvia Lörmann. „Die Klima-Krise kennt keine Lager.“

Die Wahlagenda 2010 heißt NRW. Im Jahr danach werden die Landtage in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Berlin gewählt. Möglichst viele Regierungsbeteiligungen statt hemmende „Ausschließeritis“: Diesen Akzent soll der Rostocker Parteitag nach dem Willen der Fraktionsvorleute setzen. Den Delegierten soll das in einem Antrag schmackhaft gemacht werden mit dem Verweis auf ein „ökologisches Gegengewicht im Bundesrat“.

Im Bundestag gleichwohl Schwarz-Gelb als Zielscheibe: Kein Widerspruch, so Löhrmann: „Wir als Länder stehen jetzt in einer anderen Verantwortung, uns mit der politischen Situation auseinanderzusetzen, als auf Bundesebene.“ Nebenwirkung: Sie will wohl die Sorge von NRW-Grünen einfangen, Saar-Jamaika könne ihnen im Wahlkampf an Rhein, Weser und Ems schaden.

NRW hin, Bund her: Vorsichtshalber will die Grünen-Führung in Rostock beschließen lassen, Schwarz-Grün-Gelb sei „kein Modell für den Bund, sondern ein saarländisches Experiment“
VON FRANZ LUDWIG AVERDUNK