Vom 8. bis 10. Juni 2011 fand in New York das hochrangige Treffen der Vereinten Nationen zu HIV/AIDS statt. Dort wurde folgende Deklaration verabschiedet. Zehn Jahre nach der Verabschiedung der UNGASS-Deklaration und 30 Jahre nach der ersten AIDS-Erkrankung haben die Mitgliedstaaten Bilanz gezogen und neue Zielsetzungen bis 2015 beschlossen. An der deutschen Delegation nahmen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, Vertreter des Bundesgesundheitsministeriums und des Entwicklungsministeriums, Abgeordnete des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Vertreterinnen und Vertreter von deutschen Zivilorganisationen aus dem Bereich der Aidshilfe, sowie auch zwei junge Frauen als Vertreterinnen der Jugend teil. Als Mitglied des Gesundheitsausschusses und Berichterstatterin der Grünen zum Themenfeld Aids habe ich an dieser Delegation zusammen mit Abgeordneten der CDU, der SPD und der FDP teilgenommen.
Das hochrangige Treffen fand in den Versammlungsräumen der UN in New York statt, das Wetter präsentierte sich mit weit über 30 Grad und einer enorm hohen Luftfeuchtigkeit als Herausforderung für die vielen Teilnehmer aus aller Welt. Der Tagesablauf war nach der Eröffnungsrede von parallel stattfindenden Aktivitäten gekennzeichnet. In der Generalversammlung kamen jeweils die hochrangigen Vertreter der Mitgliedsländer zu Wort, parallel fanden thematische Panels statt, sowie „Side-Events“ wie das große Jugendtreffen. Da ich erst am Mittwoch angereist war, habe ich leider nicht mehr die große Demonstration der Nicht-Regierungsorganisationen miterleben können, die angesichts der global ansteigenden Infektionszahlen und regional großen Herausforderungen weltweit mehr Anstrengungen im Kampf gegen HIV/ Aids verlangten.
Aufgrund der EHEC Erkrankungen in Deutschland hatte sich Gesundheitsminister Daniel Bahr von der parlamentarischen Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz, MdB, vertreten lassen. Auch sie wurde wegen der im Bundestag anberaumten namentlichen Abstimmungen am Freitag dann kurzfristig nach Berlin zurück beordert, um im Zweifelsfall eine eigene Kanzlermehrheit sicherzustellen.
In der Folge hat dann Botschafter Miguel Berger am Freitag ihren Part vor der UN-Versammlung übernommen und die deutsche Position zur Deklaration vertreten.
Auch die Deklaration und der dazu notwendige internationale Abstimmungsprozess war von Licht und Schatten geprägt.
Sehr erfreulich war die Erklärung von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der die von UNAIDS erhobenen Forderungen nach Null neuen Infektionen, Null Diskriminierung von Menschen mit HIV/Aids und der am meisten von HIV bedrohten Gruppen und Null Aids-Toten übernahm und bekräftigte, wenn sich weltweit alle Akteure an ihre eingegangenen Verpflichtungen halten und ihre Anstrengungen verstärken, Mittel effektiver einsetzen und mit der jeweiligen nationalen Gesundheitspolitik verzahnen, sind diese Ziele realistisch und in absehbarer Zeit umsetzbar.
Es ist zu begrüßen, dass die Deklaration erstmals konkrete Zielvereinbarungen für die Wirkung von HIV-Präventionsmaßnahmen enthält.
So hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet bis 2015 die Mutter-Kind-Übertragungen zu stoppen und den Anteil der sexuellen Übertragungen zu halbieren. Offen bleibt aber, ob die dazu nötigen Schritte auch konsequent ergriffen werden und die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Genau an diesem Punkt sind aber bereits die in 2001 vereinbarten Ziele gescheitert.
Begrüßenswert war, dass erstmals junge Menschen aus allen Regionen der Welt zu einem HIV-Jugendgipfel eingeladen wurden. Die Bundesregierung hat die Durchführung des Jugendgipfels, unter der Schirmherrschaft von UNAIDS, mit 50.000 Euro kofinanziert. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz konnte kurz vor ihrem Abflug noch ein Grußwort in dieser Versammlung halten und dem jungen Moderator Rede und Antwort stehen. In dieser Versammlung wurde auch mit großer Anerkennung gesehen, dass aus Deutschland gleich mehrere Abgeordnete anwesend waren, die deutschen Abgeordneten stellten bei diesem Treffen mit 4 Abgeordneten die Hälfte aller politischen Entscheidungsträger in diesem Plenum. Besonders ergreifend waren die Schilderungen junger HIV-Positiver und Aidserkrankter, die beschrieben, wie sehr der Zugang zu modernen Aids-Medikamenten ihnen neue Zukunftschancen eröffnet hat. Umso erschreckender ist es, dass heute noch immer der Großteil von Infizierten keinen Zugang zu Medikamenten hat.
Die Deklaration 2011 bleibt jedoch in weiten Teilen hinter den Erwartungen der Nicht-Regierungsorganisationen und den Menschen in hoch betroffenen Regionen zurück. So mahnen die Nicht-Regierungsorganisationen, dass keine konkreten Strategien zur Umsetzung der festgehaltenen Zielsetzungen verbindlich vereinbart wurden. So besteht die Gefahr, das schon 2006 gesetzte Ziel, allgemeinen Zugang zu Prävention, Behandlung, Pflege und Unterstützung zu erreichen, für 2015 zwar erneut anvisiert wird, aber wieder verfehlt wird, da die dafür notwendige Finanzierung nicht sichergestellt wird.
Ernüchternd auch, dass die Deklaration in den Eingangsbestimmungen etliche Paragrafen enthält, die den Mitgliedstaaten ermöglichen, die vereinbarten Prinzipien und Ziele nur so weit zu realisieren, wie sie mit der nationalen Gesetzgebung übereinstimmen. Viele Länder haben aber noch immer rechtliche Bestimmungen, die Bevölkerungsgruppen wie sexuelle Minderheiten oder vom Verkauf sexueller Dienste lebende Menschen unterdrücken. Dadurch werden nicht nur die Menschenrechte verletzt, sondern auch die Prävention und Behandlung von HIV schwerwiegend behindert. Auf mein Unverständnis stößt dabei auch der Vatikan, der sich weiterhin mit einem sehr restriktiven Verständnis von sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung hervortut und den Gebrauch von Kondomen nur in wenigen besonderen familiären Konstellationen befürwortet.
Im Panel Prävention zeigten sehr persönliche Erklärungen von Betroffenen, dass Prävention noch immer durch sexuelle Tabus, Stigmatisierung von Infizierten aber auch von Homosexualität stark behindert wird.
Erschütternd waren für mich die Berichte von Frauen im Panel "Women, girls and HIV" , dass in sehr vielen Ländern nach wie vor Frauen keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Aidsmedikamenten haben und in hohem Maß sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Frauen stellen in Schwarzafrika drei Viertel der HIV/Aids-Infizierten, einen hohen Anteil machen dabei auch sehr junge Frauen aus. Viele von ihnen sind Opfer von erzwungenem und ungeschütztem Sex, gleichzeitig sind die Frauen in vielen Familien diejenigen, die für das materielle Überleben sorgen. Besonders beeindruckt haben mich die engagierten Reden der delegierten Ministerin von Liberia sowie von UNAIDS-Exekutivdirektor Michel Sidibé , die von den Männern eine Verhaltensänderung und ein Umdenken im Geschlechtsrollenverständnis aber auch von den jeweiligen Staaten eine Ächtung von geschlechtsbezogener Gewalt einforderten.
Hier einige Daten zu Frauen und HIV/Aids
Die Eindrücke von diesem hochrangigen Ministertreffen auf VN-Ebene zu HIV/AIDS haben für mich deutlich gemacht, dass das deutsche Engagement in der internationalen Bekämpfung von übertragbaren Erkrankungen nicht nachlassen darf und wir trotz finanziellem Sparzwangs unsere internationalen Verbindlichkeiten nicht nur einhalten, sondern eher verstärken müssen. Genau das Gegenteil wurde im G8-Rechenschaftsbericht deutlich, der im Mai veröffentlicht wurde: Deutschland hat seine Gleneagles-Zusagen um 4.3 Mrd. US-Dollar verpasst. 2005 einigten sich die G8 auf das Ziel einer „aidsfreien Generation“ und den universellen Zugang zu HIV/AIDS-Medikamenten. 2007 versprachen die G8 in Heiligendamm 44 Mrd. Euro zur Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und Tuberkulose. Unklar bleibt bis heute, wie Deutschland seine Beiträge zu diesen Versprechen leisten will, vor allem wenn Entwicklungsminister Niebel die Zahlungen an den Globalen Fond zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria tatsächlich einstellen wird. Der Auftritt der Bundesregierung in New York passt nicht zum Handeln in Berlin. Das muss sich ändern.