Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die Kollegin Maria Klein-Schmeink das Wort.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute an dieser Stelle über Szenen einer Ehe rede statt über ein ganz klares Anliegen: über Praxisgebühr, Zuzahlung und Zusatzbeiträge.
Das ist heute das Thema. Dazu sind drei verschiedene Anträge gestellt worden. Den Antrag der Linken gab es tatsächlich schon vor der Osterpause. In diesem geht es um die Abschaffung der Praxisgebühr. Sie hätten jederzeit die Möglichkeit gehabt, der Diskussion dieser Forderung im Ausschuss tatsächlich einen angemessenen Rahmen zu geben.
Weder vor den Osterferien noch in dieser Woche ist er diskutiert worden. Dabei haben Sie gesagt, Sie wollten diesem Anliegen einen Raum verschaffen. Es war nicht einmal eine Diskussion möglich. Er wurde von der Tagesordnung gestrichen. So viel zur Seriosität, zur Redlichkeit, zur Verantwortlichkeit.
Ich muss sagen: Wir haben ganz andere Anliegen.
Dazu, dass Sie dann als Krönung der SPD und den Grünen in NRW und in Schleswig-Holstein vorwerfen, sie würden dieses Thema instrumentalisieren, sage ich Ihnen: Es ist ein legitimes Anliegen, einem Thema, das in weiten Teilen der Gesellschaft debattiert worden ist, zum Durchbruch zu verhelfen und zu verdeutlichen, dass Sie dies auf der einen Seite zum Thema gemacht, aber auf der anderen Seite Versprechungen gemacht haben, die Sie überhaupt nicht realisieren wollen. Darum geht es.
Das treibt auch die Kollegen von der Union auf die Palme. Es geht darum, dass Sie eine Forderung erheben, die erstens dem Koalitionsvertrag widerspricht und die sich zweitens in Ihrem Wahlprogramm so nicht wiederfindet.
Sie haben dort immer von einer unbürokratischen Form der Selbstbeteiligung geredet. Sie haben aber nie die Selbstbeteiligung an und für sich infrage gestellt. Es ging Ihnen immer nur um den bürokratischen Aufwand, der damit verbunden war. Das noch einmal zur Klarstellung.
Dann führen Sie die Union vor und überlassen der Union die anderen Dinge, die in diesem Zusammenhang zu klären sind,
nämlich dafür sorgen, dass es für die Abschaffung der Praxisgebühr eine entsprechende Gegenfinanzierung gibt. Das ist der einzige Punkt, bei dem Jens Spahn vorhin recht hatte.
Natürlich muss man für eine Gegenfinanzierung sorgen, wenn man den Krankenkassen 2 Milliarden Euro wegnimmt.
– Ganz genau.
Aber es kommt noch mehr. Unser Antrag, der Ihnen heute vorliegt, enthält drei Elemente: Wir haben Ihnen erstens geraten, die Praxisgebühr abzuschaffen, zweitens haben wir Ihnen geraten, die Zusatzbeiträge abzuschaffen, und drittens haben wir Ihnen geraten – als wichtiges Element -, den Krankenkassen die Beitragsautonomie zurückzugeben.
Das ist doch der wahre Knackpunkt in diesem Spiel. Sie haben mit der Gesundheitsreform 2010 ein System geschaffen, in dem für die Krankenversicherung zentralistisch ein Einheitsbeitrag festgesetzt wurde. Das führte dazu, dass es bei den Krankenkassen keine wirkliche Steuerung gibt, sondern diese in irgendeiner Weise mit den Beiträgen zurechtkommen müssen. In diesem Fall hatten Sie großes Glück; denn Konjunktur und Arbeitsmarktlage waren gut.
Deshalb gibt es bei den Krankenkassen und im Gesundheitsfonds einen immensen Überschuss.
Dieser Überschuss aber – das muss man ganz klar sagen – gehört den Versicherten.
Er gehört nicht den Krankenkassen. Die Krankenkassen sind zu Recht keine Sparkassen; vielmehr haben sie eine definierte Liquiditätsreserve, die aber längst überschritten ist. Darum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, in die Diskussion über die Abschaffung der Praxisgebühr einzusteigen.
Ein weiterer Punkt. Ich habe aus Ihren Reihen nichts gehört zur inhaltlichen Auseinandersetzung um die Praxisgebühr und die Zuzahlungen.
Genau darum geht es aber im Wesentlichen. Alle drei Elemente bedeuten zusätzliche unsolidarische Belastungen, die einseitig nur die Versicherten treffen.
Das führt dazu, dass die von Ihnen genannten sozial Benachteiligten eben keine gerechte Teilhabe an der gesundheitlichen Versorgung erfahren.
Hier müssen wir gegensteuern. Darum geht es uns heute. Wir wissen, dass wir gegensteuern müssen. Es sind die 20 oder 25 Prozent der immer wieder beschworenen sozial Benachteiligten und der bildungsschwachen Haushalte, die gesundheitlich schlecht versorgt sind, die, wie Studien nachgewiesen haben, wegen der Praxisgebühr und wegen der Zuzahlungen nicht oder zu spät zum Arzt gehen. Das ist Ihnen bekannt; man kann das in Arzneimittelreporten oder Gesundheitsreporten nachlesen.
Das ist der Sachstand. Heute ist es an der Zeit, endlich gegenzusteuern.
– Es ist in der Tat so, dass die Grünen die Praxisgebühr im Zusammenhang mit dem Gesundheitsmodernisierungsgesetz mit eingeführt haben, und zwar auf Betreiben der Union, das ist ja klar.
Es hat immer schon große Vorbehalte gegeben, aber man ist auch ein Stück weit dem Rat der Sachverständigen gefolgt.
– Hören Sie mir mal zu? Haben Sie keine Lust mehr, zuzuhören? Wir führen heute eine Debatte, die Sie draußen in der Bevölkerung ereilen wird. Sie werden also schon zuhören müssen.
– Ja, genau so wird es sein. – Bei genauerem Hinsehen werden Sie feststellen, dass man für die Praxisgebühr nicht wirklich weiterhin werben kann. Man kann nicht dafür einstehen, außer es geht um die Frage der Finanzierung. Dann müssen Sie sich aber fragen lassen, wie insgesamt eine nachhaltige Finanzierung in der Gesundheitspolitik aussehen soll.
Sie haben mit dem Zusatzbeitrag ein Konstrukt geschaffen, angesichts dessen Sie sich heute eigentlich entsetzt abwenden müssten; denn Sie fürchten ja selbst die Folgen dieser Zusatzbeiträge. Sie müssen heute dafür sorgen, dass es auf keinen Fall zur Einführung der Zusatzbeiträge kommt. Sie müssen für eine Liquiditätsreserve sorgen, ein Sicherheitspolster, das Sie sicher über die nächsten Wahltermine und bis 2013 bringt.
Darum geht es doch. Darum kämpfen Sie, Jens Spahn, für dieses Sicherheitspolster, weil Sie genau wissen, dass Sie ansonsten in die Lage geraten, die Zusatzbeiträge wirklich einzuführen. Und was wäre dann?
Es gäbe einen bürokratischen Aufwand ohne Ende. Schauen Sie sich die Regelungen im SGB V an: Sie umfassen sieben Absätze mit zahlreichen Formulierungen und Regelungen, die in den Unternehmen und anderswo zu großem bürokratischen Aufwand führen werden. So verhält es sich doch. Gleichzeitig ist es eine Tatsache: Es wird zu einer zusätzlichen Belastung ausschließlich der Versicherten kommen. Auch das ist etwas, was Sie heute, vor den Wahlen, nicht an die Oberfläche kommen lassen wollen. Darum geht es im Kern. Darum kämpfen Sie vonseiten der Union.
Klar ist natürlich auch, dass Sie darüber einen Ehezwist haben. Ich hätte an Ihrer Stelle ebenfalls keine Lust, allein für die Folgen einer solchen verfehlten Politik einzustehen; auch darum geht es. Da macht sich die FDP nämlich in der Tat einen schlanken Fuß. Sie hat sich im Februar überlegt: Ach ja, die Abschaffung der Praxisgebühr, das wäre populär. Das ist ein schönes Signal an die Ärzteschaft. –
Es ist gleichzeitig ein Signal, dass die FDP in der Lage ist, ein wärmendes, soziales Mäntelchen zu tragen. Darum geht es.
Schauen wir uns jetzt einmal Folgendes an: Sie haben schon heute die Möglichkeit, über den Antrag der Linken abzustimmen. Sie haben in den nächsten Wochen die Möglichkeit, über die in unseren verschiedenen Anträgen enthaltenen Regelungen abzustimmen. Wir werden erleben: Nichts davon wird kommen. Aber es wird wahrscheinlich etwas anderes kommen. Es wird zu einer Art Eintrittsgebühr beim jeweiligen Arztbesuch kommen. Darüber haben Sie nämlich schon Ende letzten Jahres nachgedacht.
– Herr Lanfermann, noch Ende Dezember haben Sie davon gesprochen, dass gegen eine kleine Selbstbeteiligung, die unbürokratisch ausgestaltet ist, nichts einzuwenden ist. Ich glaube, das zeigt sehr deutlich, wessen Geistes Kind sämtliche Anliegen der FDP sind.
Ich habe jedenfalls größere Schwierigkeiten, zu glauben, dass Sie tatsächlich für Ihre Forderungen einstehen werden.
Vielen Dank.