Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Hier war die ganze Zeit über viel von der Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe die Rede. Ja, das ist tatsächlich ein dringendes und notwendiges Anliegen. Die entscheidende Frage lautet nur: Wie erreichen wir eine solche Steigerung? Da kann ich nur auf die Debatte von gestern verweisen. Ein zentraler Punkt, um zu einer wirklichen Steigerung der Attraktivität zu kommen, ist, die Arbeitsbedingungen in der Pflege sowohl im Krankenhaus als auch in der Altenpflege, sowohl ambulant als auch stationär zu verändern. Das ist die eigentliche Aufgabe, die anzugehen ist. Aber diese haben Sie nicht gelöst.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie haben das vertagt. Gutachten für den Krankenpflegebereich? Ende 2017 wird es vorgelegt. Gutachten für die Altenpflege? 2020 wird es vorgelegt. Vorher wird sich an den eigentlichen Arbeitsbedingungen nichts ändern. Unsere Sorgfaltspflicht als Parlamentarier hätte es aber geboten, schon früher für entsprechende Veränderungen zu sorgen. Das wäre die Aufgabe gewesen, die wir hätten erledigen müssen. Das ist der erste Punkt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zweitens. Vorhin wurde das Schulgeld erwähnt. Es gibt etliche Bundesländer, in denen zumindest rechtlich die Grundlage dafür besteht, Schulgeld zu erheben. Einige Länder haben nun beigedreht. Aber die meisten Länder warten darauf, dass eine entsprechende Regelung kommt. Es ist ein langjähriges Versagen sowohl des Bundes als auch der Länder, dass hier kein Beitrag zu einer vernünftigen Ausbildung geleistet wurde. Stellen Sie sich mal einen Männerberuf vor, in dem Schulgeld erhoben wird,
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
so schlechte Arbeitsbedingungen herrschen und so schlechte Gehälter gezahlt werden! Das gibt es sonst nirgendwo. Das ist das zweite Versäumnis, das kollektiv begangen wurde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Petra Crone [SPD]: Das machen wir jetzt! Das schaffen wir jetzt ab!)
Drittens. Wenn es um eine Aufwertung der Berufsbilder geht, dann ist es wichtig, den gesellschaftlichen Stellenwert einer Altenpflegekraft, einer Kinderkrankenpflegekraft oder einer Gesundheits- und Krankenpflegekraft herauszustellen. Das müsste man bei den jeweiligen Profilen gesondert machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Natürlich hat die Altenpflege hier ein größeres Problem. Aber genau dieses Problem lösen Sie nicht.
Wenn wir uns die Entwicklung der Ausbildungsberufe anschauen, dann stellen wir fest: In Nordrhein-Westfalen ist durch einen Kraftakt eine Ausbildungsumlage geschaffen worden und ist es gelungen, die ambulante Pflege einzubeziehen.
(Hilde Mattheis [SPD]: Rheinland-Pfalz! Baden-Württemberg!)
Dadurch wurde eine Verdopplung der Zahl der Ausbildungsplätze, aber auch der Interessenten erreicht. Genauso müssen wir es angehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Petra Crone [SPD]: Das wollen wir jetzt für alle!)
Bei Ihrer Reform müssen wir aber davon ausgehen, dass die ambulante Pflege nicht mehr an der Ausbildung teilnehmen wird, weil sie das gar nicht stemmen kann. Sie setzen voraus, dass die ambulanten Pflegeträger einen wirtschaftlichen Gewinn von 23 Prozent durch den Einsatz der Pflegeauszubildenden erzielen. Das werden die Träger nicht schaffen, weil kein Auszubildender alleine arbeiten kann. Deswegen ist ein solcher ökonomischer Gewinn nicht vorauszusetzen. Das wird die bisherige positive Entwicklung im ambulanten Bereich stoppen. Sie gehen mit Ihrer Reform zumindest ein großes Risiko ein. Da müssen Sie nachbessern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Zu einem Zeitpunkt, wo wir eine so weitreichende Reform beschließen, liegen uns nur wolkige Eckpunkte vor. Schauen wir uns einmal die Handlungskompetenzen an, die im theoretischen Bereich vorausgesetzt werden sollen. Für die Pflegeplanung werden 900 bis 1 000 Stunden angesetzt. Weitere Stichworte sind „Kommunikation und Beratung“, „eigenes Handeln intra- und interprofessionell gestalten“ und „eigenes Handeln reflektieren“. So wolkig haben Sie Ihre Eckpunkte verfasst. Genau auf diesem Stand sind Sie. Das birgt weitere Risiken. Sie wissen noch immer nicht, wie die Ausbildungsinhalte tatsächlich aussehen sollen. Aber erst an den Inhalten kann man ermessen, Frau Müller, ob es sich zum Beispiel in der Kinderkrankenpflege um eine Ausbildung handelt, die wirklich tragfähig ist und entsprechend qualifiziert.
Eine weitere offene Frage ist, wo die eigentliche Ausbildung auf dem beruflichen Tätigkeitsfeld stattfindet, auf dem man dann eingesetzt ist. Das überlassen Sie den Auszubildenden, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Diese müssen sich dann selber fortbilden. Sie haben kein einziges Konzept dazu vorgelegt. Das sind die Mängel, die Sie bisher nicht behoben haben. Deshalb thematisieren wir die Risiken und fordern, dass Sie noch einmal genau und besonnen hinschauen; denn es reicht nicht, entschlossen einen Koalitionsvertrag umzusetzen.
Vizepräsident Peter Hintze:
Frau Kollegin.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es muss vielmehr Besonnenheit hinzukommen und, bitte schön, auch die Abwägung von wirklichen Argumenten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Peter Hintze:
Frau Kollegin, wir bewundern zwar, wie Sie, ohne Luft zu holen, fast 60 Sekunden durchgehalten haben, aber die Zeit war doch dramatisch überzogen.