Am 15. Februar 2012 war die grüne Sprecherin für Prävention und Patientenrechte Maria Klein-Schmeink (MdB) zu Gast in Telgte. Dort besuchte Sie gemeinsam mit aktiven Grünen aus Telgte den Wohnstift St. Clemens und diskutierte bei einer anschließenden Abendveranstaltung über das Thema „Ist gute Pflege bezahlbar?“.
„Leben in und mit der Stadt“: Wohnpark und Wohnstift St. Clemens
Beim gemeinsamen Besuch im Wohnstift St. Clemens erfuhren die grünen Gäste näheres über die Einrichtung als auch ihre Verankerung im Wohnpark St. Clemens. Der Geschäftsführer des Wohnstifts Daniel Freese und die Pflegedienstleiterin Christine Vornholz klärte darüber auf, dass im Wohnpark St. Clemens 41 altengerechte Wohnungen SeniorInnen, sowie geistig, psychisch und/ oder körperlich behinderte Menschen ein selbstständigen Leben ermöglichen würden. Im Wohnstift selbst existieren 66 Einzelapartments für vollstationäre Pflege, sowie sechs Kurzzeitpflegeapartments, in einer Größe von je 24 m². Die drei Wohnbereich sind zudem in je wie Wohnbereich a 12 Apartments untergliedert. Die Nachfrage nach einem Heimplatz gerade auf Grund der modernen Konzeption des Hauses gut, lediglich fehle es perspektivisch an professionellen Pflegefachkräften.
Als von besonderer Bedeutung für ein möglichst selbstbestimmtes Wohnen sehen die Verantwortlichen die zentrale Lage in nächster Nähe zum Bahnhof, Busbahnhof und der Telgter Innenstadt. Außerdem ermöglicht der Integrationsbetrieb Café Clemens den selbstständigen Einkauf von Backwaren und dient als Begegnungsstätte für BewohnerInnen und die telgter Bürger. Die BewohnerInnen des Wohnparks sollen ausdrücklich in das telgter Stadtleben integriert werden. Explizit bemüht sich das Wohnstift St. Clemens darum um Offenheit und biete auch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie beispielsweise singen, gemeinsames Essen oder auch Konzerte in den hauseigenen Räumlichkeiten an. Ehrenamtliches Engagement der BewohnerInnen und telgter BürgerInnen wird aufgegriffen und aktiv unterstützt. Die Bundestagsabgeordnete Klein-Schmeink lobte bei dem Besuch ausdrücklich die strukturelle Anbindung des gesamten Wohnparks an das städtische Leben in Telgte. Auf diese Weise könne ein generationsübergreifendes Zusammenleben in der Stadtgemeinschaft gelingen.
Die Grüne Pflege-Bürgerversicherung: Mehr Solidarität für gute Pflege
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion im Bürgerhaus Telgte, erläuterte Maria Klein-Schmeink zunächst in einem Kurzvortrag die Notwendigkeit einer Pflegereform, sowie die Idee der grünen Pflege-Bürgerversicherung.
Durch den Demographischen Wandel werden an unser gesellschaftliches Zusammenleben ganz neue Anforderung gerecht. So wird die Zahl der Pflegebedürftigen von heute ca. 2,4 Mio. Pflegebedürftigen bis zum Jahr 2055 auf insgesamt 4,35 Mio. Pflegebedürftige ansteigen. Diese Entwicklung wird sich zuerst in den strukturschwachen und ländlichen Gebieten durch einen rasanten Anstieg des Anteil alter und hochaltriger Menschen in der Bevölkerung bemerkbar machen. Zudem erläutert Klein-Schmeink, dass wir uns in der Pflege auf eine Verdoppelung der Anzahl von Menschen mit dementiellen Erkrankungen, psychischen oder kognitiven Beeinträchtigungen auf ca. 2 Mio. Betroffenen bis 2050 einstellen müssen. Pflegerische Hilfe würde zudem immer weniger von der Familie abgefangen. Die Zahl der Alleinlebenden ohne jeden Zugriff auf familiäre Netzwerke steigt. Familien leben schon heute nicht mehr zwingend in direkter örtlicher Nähe. Auch können Frauen bei zunehmender Erwerbsarbeit die pflegerischen Anforderungen, welchen Sie bisher immer nachkamen, nur noch schwer erfüllen. Hinzu kommt zudem noch ein Mangel an Fachpersonal in der Pflege. Hochverdichtete Pflegezeiten, wenig gesellschaftliche Wertschätzung, schlechte Bezahlung und hohe psychische und physische Belastungen führen dazu, dass Pflegefachkräfte ihr eigentlich Professur, der Arbeit mit Menschen, nicht mehr nachgehen können. Hierzu trage auch bei, dass die Finanzierung der Pflege seit Jahren nicht angepasst worden ist und sich der Pflegebedarf fast ausschließlich auf körperliche Einschränkungen bemisst.
Die Abgeordnete machte deutlich, dass es nicht länger hinnehmbar ist, dass die Folgen für die eklatanten Missstände in der Pflege auf die Pflegekräfte und Familienangehörigen abgewälzt werden. Vielmehr müsse schnellstmögliche eine konsequente und nachhaltige Pflegereform durchgeführt werden. Neben dem Ausbau der finanziell zur Verfügung stehenden Ressourcen, sei eine Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen in der Pflege ebenso dringlich, wie eine unbürokratischere Qualitätssicherung mit hoher Nutzerorientierung. Konzepte die wohnumfeldnahe und verlässliche Betreuungs-, Pflege- und Hilfeangebote bedenken, würde die Lebensqualität älterer Menschen deutlich erhöhen. Für sie spreche zudem, dass sich der weit größte Teil der Bevölkerung eine Versorgung in der eigenen Häuslichkeit wünsche. Zur Verbesserung der Situation in der Pflege bedürfe es letztlich enormer gesellschaftlicher und politischer Anstrengungen. Dass die schwarz-gelbe Koalition in Berlin hierzu nicht Willens sei, zeigte sich im sogenannten „„Jahr der Pflege“ 2011. Anstatt die Probleme grundlegend anzupacken, habe sich Gesundheitsminister Daniel Bahr mit seinen Kollegen auf eine Minireform geeinigt, dessen einzig zählbare Konsequenz die zukünftig 2,55 € mehr am Tag für jeden Demenzerkrankten sind. Klein-Schmeink verurteilte dieses sträfliche Verhalten des Ausharrens und machte deutliche, dass gute Pflege mehr Geld kostet, als derzeit für sie zur Verfügung gestellt wird.
Bündnis 90/ Die Grünen haben darum das solidarische Konzept der Pflege-Bürgerversicherung ausgearbeitet, mit der eine bessere Pflege zukunftsfähig, gerecht und mit moderat steigenden Beiträgen finanzierbar wird. Die Einnahmebasis würde dabei zunächst einmal dadurch verbreitert, dass all BürgerInnen Mitglieder der Pflege-Bürgerversicherung werden würden. Zusätzlich würde bei den Beitragssätzen alle Einkunftsarten – auch Vermögenseinkommen, Gewinne und Mieteinkünfte – berücksichtigt. Für kleine und mittlere EinkommensbezieherInnen werden Freigrenzen eingeräumt. Als dritte Veränderung der finanziellen Basis würde in der grünen Pflege-Bürgerversicherung die Beitragsbemessungsgrenze 5.600 € monatlich angehoben. Insgesamt würde bei Einführung der Pflege-Bürgerversicherung ein Beitragssatz von ca. 1,75 Prozentpunkten nötig. Dieser müsste auch in den Folgejahren lediglich moderat angehoben werden, bis er schließlich im Jahr 2055 den Maximalstand mit ca. 3 Prozentpunkten erreicht. Die Beiträge auf Erwerbseinkommen aus abhängiger Beschäftigung würden weiterhin paritätisch finanziert. Der erhöhte Beitragssatz für kinderlose Versicherte bleibt in der Pflege-Bürgerversicherung ebenfalls bestehen. Kostenlos versichert würden Kinder, nicht erwerbstätige EhegattInnenn bzw. LebenspartnerInnern, sofern sie Pflegeleistungen erbringen (mind. 14h/Woche) oder Kinder erziehen, die noch keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz haben.
Ein von der grünen Bundestagsfraktion in Auftrag gegebenes Gutachten zur „Berechnungen der finanziellen Wirkungen verschiedener Varianten einer Pflegebürgerversicherung“ beim Pflegeökonomen Prof. Dr. Heinz Rothgang und seinem Team vom Zentrum für Sozialpolitik (ZES) der Universität Bremen bestätigte bereits, den Qualitätsgewinn der mit einer Pflege-Bürgerversicherung einher gehen würde. Auch würde die ungerechte Zweiteilung in Soziale Pflegeversicherung (SPV) und Private Pflegeversicherung (PPV) auf diese Weise aber aufgehoben. Diese sorgt heute schließlich dafür, dass sich ausgerechnet die wirtschaftlich leistungsstärkste und im Durchschnitt auch gesündesten Bevölkerungsgruppen dem Solidarausgleich entziehen. Als weiteren positiven Effekt könnte außerdem eine Ausweitung des Leistungsvolumens um 15% und eine werterhaltende Dynamisierung der Leistungen der Pflegeversicherung möglich werden. Den Teilhabebedürfnissen pflegebedürftiger Menschen könnte so eine größere Bedeutung beigemessen werden und pflegerische Prävention und Rehabilitation in den Fokus des Leistungsgeschehens rücken.
Pflege in der Praxis

Die von Klein-Schmeink dargestellten Problemlagen in der Pflege wurden schließlich von  Sprecherin des DemenzNetz Telgte und Leiterin der C.E.M.M. Caritas-Sozialstation Telgte Frau Karin Fischer  bestätigt. Vielfach würde auch sie erleben, welche hohe Belastung pflegende Angehörige  ausgesetzt sind. Die Familie sei als Stütze für ältere Menschen sehr wichtig. Es gelte darum die Angehörige durch professionelle Hilfe sinnvoll zu entlasten. Neben der Belastung von pflegenden Angehörigen verwies Frau Fischer außerdem auf die Probleme die durch die Zunahme der Singlehaushalte entstehen würden. Auch dieser Personenkreis äußere den Wunsch, in der eigenen Häuslichkeit gepflegt werden zu wollen. Mit den bisherigen Pflegemodellen sei diesem Wunsch jedoch nur schwer nachzukommen. Individuell zurechtgeschnittene Pflegemodelle, würde gerade auch durch den herrschenden Fachkräftemangel schwierig. Ziel einer angemessenen Reform in der Pflege müsse darum neben der Enttabuisierung von Pflege, vor allem auch eine höhere Wertschätzung für den Pflegeberuf, sowie das  Ausloten neuer Pflegekonzepte sein.

Diskussionsrunde: Herausforderungen und Ziele von guter Pflege

Unter der Leitung der grünen Fraktionssprecherin Sabine Grohnert wurden schließlich Nachfragen aus dem Publikum und Diskussionsbeitrage ermöglicht. Neben Nachfragen zur grünen Bürgerpflegeversicherung kam von Seiten des Publikums zunächst die Frage, wie die Wertschätzung für Pflegetätigkeiten erhöht werden könne. Sehr deutlich wurde von gesamten Podium gemacht, dass die eklatante Schieflage des Verhältnisses von Verantwortung, Anforderung, Zeit und Entlohnung von pflegerischen Tätigkeiten ein Problem darstelle. Ausschließlich die Entlohnung zu verbessern, würde jedoch nicht ausreichen. Vielmehr gelte es die Anforderungen an Pflegekräfte fern ab von Skandalberichterstattung öffentlich bekannt zu machen. Klein-Schmeink verwies zudem auf die Bedeutung von professionellen Arbeitsstrukturen. Länder wie beispielweise Schweden würden deutlich machen, dass ein größerer Anteil an Vollzeitstellen in der Pflege und die damit einhergehende größere Verantwortung des Fachpersonals auch eine höhere Wertschätzung zur Folge hätte. Hierdurch könne man sich auch eine größere Attraktivität von Arbeit in der Pflege für junge Menschen erhoffen. Frau Fischer machte zudem darauf aufmerksam, das auch der Fachkräftemangel zu einer Verbesserung der Arbeitsorganisation führen würde. In Warendorf könne man schon jetzt beobachten, dass die Befristung von Stellen deutlich nachließe.
Aus dem Publikum wurde schließlich nach der Bedeutung des Stellenschlüssels gefragt. Klein-Schmeink erläuterte daraufhin, dass ein neuer Stellenschlüssel sicherlich wichtig sei um die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte zu verringern. Entscheidend sei dabei auch, den Bedarf von Pflege über den körperlichen Pflegebedarf hinaus, neu zu definieren. In der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass nach Meinung von Frau Klein-Schmeink und Frau Fischer bei einer Neudefinition des Pflegebegriffs auch auf die Bedürfnisse von Menschen mit besonderem Bedarf, wie Beispielsweise von Schwerhörigkeit, eingegangen werden müsste. Gesundheitsminister Bahr fokussiere die Neudefinition des Pflegebegriffs jedoch leider nicht, wodurch mit einer Verbesserung der Arbeitsbedingung über diesen Weg in der jetzigen Wahlperiode nicht mehr zu rechnen sei.
Eine weitere Frage zielte in Richtung einer angemessenen Ausrichtung von Pflege an Hand des tatsächlichen Bedarf. Gerade auf dem Lande ließe sich ein Boom von stationären Einrichtungen beobachten, deren Bedarf in Zweifel gezogen werden müsse. Die Bundestagsabgeordnete erläuterte hierzu, dass nach einem Gerichtsurteil der Wettbewerb auch in der Pflege gewährleistet werden müsste. Aus diesem Grund sind von der Politik erarbeitete Bedarfspläne nicht mehr rechtens. Kommunalpolitisch gäbe es darum lediglich die Möglichkeit Investoren mögliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. Außerdem müssen Investoren von ambulanten Modellen überzeugt werden, die Pflege und Wohnen zusammendenken.
Zum Abschluss der Veranstaltung stellte Karin Fischer auf die Frage danach wie für sie gute Pflege aussehen müsste fest: Gute Pflege muss individuell, bedarfsgerecht und ohne Druck für den Pflegenden oder den zu Pflegende ablaufen! Dem schloss sich auch Maria Klein-Schmeink mit den Worten an: „Gute Pflege ist machbar. Darum gilt es jetzt die Probleme solidarisch zu lösen.“