Video zur Rede
Video zur gesamten Debatte

Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie schon häufiger haben wir hier eine Diskussion mit zwei ideologischen Lagern. Der einen Seite wird unterstellt, Staatsmedizin zu befürworten. Auf der anderen Seite ist der Wettbewerb, die Freiheit und das Vertrauen in die Ärzteschaft, das System und die Leistungserbringer.
(Gabriele Molitor [FDP]: Genau! Das Zweite ist richtig!)
Beide Seiten lassen eines vermissen, nämlich die Mitte: den Patienten, Patientenorientierung und Patientenschutz.
In dieser Debatte hat sich wieder gezeigt, dass es sehr selten gelingt, differenziert auf ein Problem einzugehen.
Wir haben durchaus ein Problem, nämlich dass die Zahl der IGeL-Leistungen tatsächlich ansteigt. 60 Prozent aller Augenarztpatienten wird eine IGeL-Leistung angeboten, in der Regel die Glaukomuntersuchung. Das betrifft regelmäßig ältere Menschen, die sich kaum in der Lage sehen, dieses Angebot angemessen einzuschätzen. Auch beim Frauenarzt wird 50 Prozent der Patientinnen eine Vaginaluntersuchung mittels Ultraschall als IGeL-Leistung angeboten. Es werden auch in anderen Bereichen, zum Beispiel in der Schwangerenvorsorge, IGeL-Leistungen angeboten, deren Notwendigkeit für die Betroffenen sehr schwer einzuschätzen ist. Wir haben also ein Informationsproblem.
Wir haben gleichzeitig das Problem, dass sich die Ärzteschaft deutliche Regeln, einen Verhaltenskodex gegeben hat. Wir wissen aber aus mehreren Untersuchungen – nicht nur vom WIdO, sondern auch von anderen, von der Ärzteschaft veranlassten Untersuchungen –, dass diese Verhaltensregeln sehr häufig nicht eingehalten werden. In knapp 50 Prozent der Fälle erfolgt zum Beispiel keine schriftliche Aufklärung, dabei ist ein schriftlicher Behandlungsvertrag gemäß Bundesmantelvertrag vorgeschrieben. Solche Zahlen muss man ernst nehmen.
(Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen gibt es unseren Antrag!)
Ich meine schon, dass es uns allen hier in diesem Raum gut anstünde, diese Vorgänge ernst zu nehmen. Sie machen zwei Dinge. Zum einen überfordern Sie den Patienten, und zum anderen erschüttern Sie das Selbstverständnis des Heilberufes und führen ihn immer näher heran an das Selbstverständnis eines Gewerbetreibenden. Wir Politiker haben die Sorgfaltspflicht und stehen in der Verantwortung, diese Scheidelinie sehr klar zu ziehen und die Ärzteschaft zu unterstützen, diese Abgrenzung sauber zu treffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist jetzt das Klatschen für die Existenz des Antrages!)
Als die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen vorlagen, habe ich bei der Bundesregierung angefragt: Was machen Sie denn jetzt mit den Ergebnissen aus den Umfragen? Die Antwort war: Wir sehen keinen Handlungsbedarf, es ist Aufgabe der Selbstverwaltung, tätig zu werden. – Wenn ich die Patientenrechte und den Patientenschutz wirklich ernst nehme, meinen Sie nicht, dass es besser wäre, zu sagen: Wir sehen da ein Problem und überlegen, wie wir mit den Selbstverwaltungspartnern zu Lösungen kommen? Wäre das nicht vielleicht die angemessene Antwort gewesen? Ich habe die Antwort im November erhalten. Es hieß: kein Handlungsbedarf.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

Wir haben eben gehört, das Ganze hat sehr viel mit Aufklärung und Information im Rahmen des Behandlungsvertrags zu tun. Es steht jetzt an, entsprechende Vorschriften im Patientenrechtegesetz zu regeln. Sie haben uns einen Referentenentwurf vorgelegt, der zwischen dem Justizministerium – FDP-geführt –, dem -Gesundheitsministerium – FDP-geführt – und dem Patientenbeauftragten Herrn Zöller abgestimmt wurde. Darin sind Vorschläge enthalten, wie der Behandlungsvertrag gestaltet sein soll.

(Gabriele Molitor [FDP]: Es passiert doch was!)

Sie haben Vorschläge gemacht, wie mit Information und Aufklärung im Behandlungsvertrag umgegangen werden soll. Was steht dort? Es müssen lediglich die Kosten für die Behandlung vereinbart werden. In der Begründung haben Sie dann ausgeführt, alles weitere wäre Aufgabe des Patienten, von dem man schon erwarten könne, dass er zur Krankenkasse geht und sich erkundigt, ob die Kosten übernommen werden oder nicht. Das sind nicht wirklich Schutzvorschriften, das sind auch keine Aufklärungsvorschriften, die Sie für den Behandlungsvertrag vorgesehen haben.

Das fällt sogar hinter die Formulierungen im Bundesmantelvertrag zurück. So kann die Ausgestaltung des Patientenrechts nicht aussehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Es reicht nicht, Patienten zu mündigen Vertragspartnern zu machen!)

Frau Molitor, Sie haben sehr stark darauf abgehoben, dass Sie sich um das Wunsch- und Wahlrecht kümmern, aber es geht nicht nur um Wunsch- und Wahlrecht in abstrakter Form, sondern es geht darum, dass ich nur als informierter Patient tatsächlich die Chance habe, eine gute Wahl zu treffen, und genau das regeln Sie nämlich nicht. Dabei ist es unsere Aufgabe als Gesetzgeber, dafür zu sorgen, dass die Auflagen für Aufklärung, für Information, für den schriftlichen Behandlungsvertrag, für den Kostenvoranschlag und für die korrekte Rechnungsstellung tatsächlich eingehalten werden.

(Gabriele Molitor [FDP]: Sie meinen, wenn alles geregelt ist, dann passiert das schon?)

Es ist unsere Aufgabe, über Werbearbeit und Aufklärungsarbeit auf die Einhaltung hinzuwirken. Es ist auch wichtig, Mechanismen vorzusehen, die greifen, wenn die Vorschriften nicht eingehalten werden. Daran werden wir Sie messen.

Herr Rüddel, Sie haben eine schöne Liste vorgelegt. Ich bin gespannt, wie das hinterher im Patientenrechtegesetz tatsächlich stehen wird. Der jetzige Vorschlag jedenfalls enthält alle die Aspekte, die Sie gerade betont haben, nicht.

Ich gebe gerne zu, dass die SPD ein Stück über das Ziel hinausgeschossen ist. Alltagsferne und Patientengerechtigkeit werden darin vermischt, was keine gute Sache ist.

(Gabriele Molitor [FDP]: Der einzig gute Punkt in der Rede! – Mechthild Rawert [SPD]: „Alltagsferne“ lasse ich mir von Ihnen nicht vorwerfen!)

Ich denke, in den Anhörungen werden wir erfahren, wie adäquatere Vorschläge aussehen können. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum wir den Vorschlag der Ärzteschaft, eine Positiv- und eine Negativliste der IGeL aufzulegen, nicht aufgreifen.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)