Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass die Koalitionsfraktionen erst in den allerletzten Sitzungswochen einen Entwurf für ein Präventionsgesetz vorgelegt und auch noch die ungeliebten Regelungen zur Strafbarkeit von Korruption im Gesundheitswesen an diesen angehängt haben. Die Opposition hat zu beiden Themen in dieser Legislatur bereits frühzeitig Initiativen eingebracht, die von der Koalition schlicht ausgesessen wurden. Deutlicher lässt sich das Desinteresse an der Verwirklichung der eigenen Gesetzesvorlagen kaum zeigen. Weder wurden die Länder, noch Expertinnen und Experten bei der Erarbeitung des Gesetzentwurfs einbezogen. Anders lässt sich die absolute Fehlkonstruktion kaum erklären.
Wer diesen Gesetzentwurf liest, muss den Eindruck gewinnen, er wurde von jemandem verfasst, der keinen Einblick in die Strukturen der Gesundheitspolitik in Deutschland hat und kaum etwas von Gesundheitsförderung und Primärprävention versteht. Die Konzentration auf die Eigenverantwortung und Eigenkompetenz jeder und jedes Einzelnen lässt die Förderung gesunder Lebensverhältnisse vollkommen aus dem Blick geraten. Maßnahmen zur Verzahnung von Gesundheitsförderung und Arbeitsförderung – Fehlanzeige. Strategien zur Reduktion von psychischen Belastungen – Fehlanzeige. Alle, die sich und ihre Gesundheit nicht im Höchstmaß optimieren können, fallen bei diesem Gesetzentwurf aus dem Rahmen. Dies bedeutet einen Rückschritt für die gesundheitliche Chancengleichheit. Mit mehr Früherkennung, Bonusprogrammen und ärztlichen Präventionsempfehlungen werden sozial Benachteiligte nicht erreicht.
Die Zwangsbeauftragung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung im Bereich der lebensweltlichen Prävention ist der falsche Weg. Dass ein selbstverwalteter Sozialversicherungsträger einer nachgeordneten Bundesbehörde die Beitragsmittel der gesetzlich Versicherten zur Verfügung stellen soll, damit diese sich fernab der Lebenswelten der Menschen vor Ort um die lebensweltliche Prävention kümmert, ist schlicht nicht nachvollziehbar.
Vorhandene Strukturen und gelungene Modelle ignoriert dieser Gesetzentwurf: die Koordinierungsstellen für gesundheitliche Chancengleichheit, die Landesvereinigungen für Gesundheitsförderung, den Öffentlichen Gesundheitsdienst und das Gesunde-Städte-Netzwerk. Stattdessen schafft er nur Doppelstrukturen und unnötige Bürokratisierung. Und was nützt ein Bericht alle vier Jahre, wenn schon bei der Festlegung von Handlungsfeldern und Kriterien für Leistungen wie Bedarf, Zielgruppen, Zugangswegen und Qualität der Angebote unabhängiger Sachverstand nicht mehr vorgesehen ist?
Die jetzt kurzfristig vorgelegten Änderungsanträge bringen keine entscheidenden Verbesserungen. Der zentrale Webfehler – die Konzentration nur auf Änderungen im SGB V – bleibt und kann die entscheidende Wende für Gesundheitsförderung und Prävention nicht bringen.
Auch die angehängten Regelungen zur Strafbarkeit von Korruption im Gesundheitswesen bleiben unzulänglich. Es reicht nicht, wenn nur die Korruption in Bezug auf Leistungen nach dem SGB V unter Strafe gestellt wird. Auch Patienten, die privat versichert sind oder IGeL-Leistungen in Anspruch nehmen, müssen sicher sein können, dass die Behandler ausschließlich das gesundheitliche Wohl des Patienten im Auge haben und nicht den persönlichen Gewinn.
Unser Fazit: dieser Gesetzentwurf gehört in den Papierkorb, die nächste Bundesregierung muss ein echtes Gesetz für Prävention und Gesundheitsförderung vorlegen.