Rede im Bundestag vom 30. März 2017
Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen hier im Saal! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die soziale Situation von Selbstständigen in Deutschland sprechen. Wir haben viel Grund, darüber zu sprechen. Das hat die Anhörung zu den Anträgen der Linken deutlich gezeigt. Sie hat gezeigt: Auch die Selbstständigen brauchen unsere Solidarität. Da, denke ich, müssen wir vorankommen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir uns das anschauen, stellen wir fest, dass es um eine ziemlich komplizierte Thematik geht. Unserem gesetzlichen Krankenversicherungssystem lag ja ursprünglich ein ganz anderer Gedanke zugrunde. Es wurde vorausgesetzt, dass ein Selbstständiger gut verdient, Vermögen hat und daher in allen sozialen Lagen für sich selber sorgen kann. Die Realität heute ist eine vollkommen andere. Dabei geht es nicht nur um die prekäre Beschäftigung, die nach der Agenda 2010 weiter um sich gegriffen hat, sondern es geht um ganz viele Formen der Selbstständigkeit, gerade im Dienstleistungsbereich. Der Pizzabäcker, die Schneiderin, die Dolmetscherin, die Frau, die für das BAMF einen Sprachkurs gibt – die Bandbreite ist groß. Wir wissen, dass auch die Probleme groß sind. Das hat uns die Anhörung zu den Anträgen noch einmal deutlich gezeigt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Von daher reicht es nicht, zu sagen: „Wir werden die Bürgerversicherung einführen“; denn ein wesentliches Grundproblem, nämlich dass bestimmte Bevölkerungsgruppen originär nicht in die gesetzliche Krankenversicherung einbezogen wurden, werden wir damit allein nicht lösen können. Wir lösen damit die Probleme des Verschiebebahnhofs zwischen PKV und GKV. Wir müssen uns aber ganz grundsätzlich darüber Gedanken machen, wie wir einen Selbstständigen verbeitragen wollen. Das bleibt unabhängig davon, ob wir die Bürgerversicherung einführen oder bei dem jetzigen Zustand bleiben, ein Problem, das wir lösen müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Da sind wir leider in dieser Wahlperiode an der mangelnden Erkenntnis und Bereitschaft der CDU/CSU, überhaupt etwas zu tun, gescheitert, aber auch an einer SPD, die sich dieses Themas – bislang jedenfalls – nicht angenommen hat. Das muss man ganz klar sagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Meier, es geht nicht darum, dass die GKV kleine Selbstständige übervorteilen will. Vielmehr haben wir als Gesetzgeber Regelungen geschaffen, die besagen: Wir setzen für den gesetzlich Versicherten Mindesteinkommen voraus, die dann zu verbeitragen sind, und zwar unabhängig davon, ob die Menschen genau dieses Mindesteinkommen überhaupt erlösen oder nicht. Dafür brauchen wir eine Lösung.
(Reiner Meier [CDU/CSU]: Aber nicht auf Kosten der kleinen Leute!)
– Ich gebe Ihnen recht.
Auch viele der Sachverständigen haben betont, dass der Königsweg nicht unbedingt darin liegen kann – so hat es die Linke vorgeschlagen –, das Einkommen, das vorausgesetzt wird, auf die Geringfügigkeitsgrenze abzusenken. Denn dann hätten wir tatsächlich ein Problem, weil wir zwischen Brutto- und Nettoeinkommen unterscheiden müssten. Die Höhe der Beiträge, die ein versicherungspflichtig Beschäftigter heute in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlt, richtet sich nach dem Bruttolohn und eben nicht nach dem Nettoeinkommen. Dieser wesentliche Unterschied muss natürlich mit in Betracht gezogen werden; sonst haben wir kein gerechtes System. Zur Lösung dieses Problems machen Sie keinen konkreten Vorschlag.
Wir haben einen anderen Vorschlag gemacht, der Sie demnächst hier im Hause beschäftigen wird. Dieser sieht die Absenkung auf das Niveau der sonstigen freiwillig Versicherten vor, das heißt, dass round about 1 000 Euro vorausgesetzt werden. Das würde dazu führen, dass wir eine vergleichbare Einkommensbetrachtung hätten, und wir würden einen Ausgleich zwischen Selbstständigen und versicherungspflichtig Beschäftigten möglich machen. Darum muss es im Kern gehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was nicht geht, ist, gänzlich zu ignorieren, dass wir eine Lösung brauchen. Das müssen wir jetzt anpacken, und wir müssen es so anpacken, wie es zum Beispiel der Verband der Gründer und Selbstständigen nahegelegt hat, als er sagte: Es gibt nicht nur ein Problem bei der gesetzlichen Krankenversicherung und der Krankenversicherungsabsicherung allgemein, sondern auch bei der Rente. – Vielen Menschen in den Gruppen, über die wir hier reden – immerhin, so wird geschätzt, betrifft dies 320 000 Menschen in Deutschland; diese Zahl wurde genannt –, fehlen auch die Mittel für eine vernünftige Altersabsicherung. Das müssen wir zusammenbringen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zu diesem Thema haben wir Ihnen einen Vorschlag vorgelegt, über den wir hier irgendwann nach Ostern debattieren werden. Ich hoffe, dass Sie sich dann mit etwas mehr Sorgfalt mit diesem Thema auseinandersetzen. Die vielen kleinen Selbstständigen, die einen wesentlichen Beitrag für die gesellschaftliche Entwicklung hier in Deutschland leisten, haben es verdient, dass Sie da genauer hinschauen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)