Rede im Bundestag vom 31. März 2017

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Rüddel, in den vergangenen neun Minuten hätten Sie eigentlich über die solidarische und gerechte Finanzierung von Gesundheit und Pflege reden sollen.
(Matern von Marschall [CDU/CSU]: Voll erfüllt! Hat er gut gemacht!)
Ich muss sagen: Sie haben die Zeit vollständig für etwas vollkommen anderes genutzt, nämlich für eine Marketingveranstaltung. Es ging nur um das, was Sie meinen für die Pflege getan zu haben. Ich kann nur sagen: Damit sind Sie zu kurz gesprungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Am Ende der Wahlperiode müssen wir ganz eindeutig sagen: Das Thema „solidarische und gerechte Finanzierung“ gehört auf die Tagesordnung. Denn wir müssen feststellen: Acht Jahre Große Koalition und vier Jahre Schwarz-Gelb haben dazu beigetragen, dass wir heute eben nicht sagen können, dass wir eine stabile Finanzierung in der GKV und in der sozialen Pflegeversicherung haben.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Milliarden an zusätzlichen Geldern für die Pflege, zur Verbesserung der Pflege!)
Vielmehr haben wir das traurige Ergebnis, dass allein die Versicherten sämtlichen Kostenaufwuchs in der Gesundheitsversorgung stemmen müssen. In den Jahren 2015 und 2016 haben die Versicherten der GKV – sie ganz allein – insgesamt 24,1 Milliarden Euro an Zusatzbeiträgen gezahlt. Das zeigt, wie ungerecht dieses System ist
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die traurige Wahrheit!)
und dass wir da dringend etwas tun müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Stritzl?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, gerne. Die vier Minuten Redezeit sind sowieso zu wenig.
Thomas Stritzl (CDU/CSU):
Frau Kollegin, erlauben Sie mir folgende Zwischenfrage:
Erstens. Bin ich richtig informiert, dass unter rot-grüner Regierungsbeteiligung ein Sonderbeitrag für die GKV zulasten der Arbeitnehmerschaft eingeführt wurde? Wenn ja, in welcher Höhe wurde er eingeführt?
Zweitens. Können Sie mir sagen, welchen Wert die Rücklagen in der gesetzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland zurzeit insgesamt haben?
Danke schön.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke für die Fragen. – Es ist in der Tat so, dass unausgewogene Finanzierungskonzepte für die gesetzliche Krankenversicherung – nur die Löhne und Gehälter wurden einseitig belastet – in der damaligen konjunkturellen Phase dazu geführt haben, dass man sich entschieden hat, einen Sonderbeitrag für die Arbeitnehmer zu schaffen. Aber man muss ganz eindeutig sagen: Das war ein einmaliger Schritt, der zu einer einseitigen Belastung der Versicherten geführt hat, sozusagen eine Konjunkturhilfe durch die Versicherten. Ich muss deutlich feststellen: Heute gibt es keinen Grund, genau diese Sonderbelastung nur der Versicherten fortzuführen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Das ist ein Geschenk für die Arbeitgeber, das sie erstens nicht brauchen und zweitens die gesellschaftliche Solidarität insgesamt beeinträchtigt. In dem Sinne wird deutlich: Es muss zu einer Umkehr kommen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Rücklagen!)
Genau darauf komme ich jetzt im weiteren Fortgang meiner Rede zu sprechen. – Danke schön.
(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Die Rücklagenhöhe!)
– Die Rücklagenhöhe ist so, dass man tatsächlich sagen muss: Es ist eine ordentliche Rücklage, insgesamt 24 Milliarden Euro in den verschiedenen Töpfen. – Aber wir müssen natürlich gleichzeitig sagen: Diese 24 Milliarden Euro sind zwischen den Krankenkassen nicht gerecht verteilt. Es kommt vielmehr zu Verwerfungen, die wir derzeit haben, dass einzelne Kassen den Zusatzbeitrag noch einmal anheben müssen. Genau dazu kam es in dieser Woche bei drei Krankenkassen, die ihre Zusatzbeiträge um 0,3 Prozentpunkte erhöhen mussten. Diese einseitige Belastung von Versicherten können wir nicht wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Dies führt auch dazu, dass das gesamte System der gesetzlichen Krankenversicherung in eine Schieflage kommt. Das haben Sie zu verantworten. Das werden wir in den nächsten Monaten und Jahren deutlich zu spüren bekommen, wenn es nicht zu einem Politikwechsel kommt. Gerade deshalb ist er so wichtig. – Danke schön für diese Frage.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE] – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Bitte schön!)
Insgesamt haben wir eine Situation, in der man sagen muss: Ja, Sie haben in den letzten vier Jahren deutliche Leistungsverbesserungen beschlossen; das stimmt.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist doch mal was Positives!)
Einige waren mehr als überfällig und Resultat einer völlig verfehlten schwarz-gelben Politik. Aber wir alle vermissen ein Konzept, wie Sie diese Leistungsverbesserungen in der nächsten Wahlperiode finanzieren wollen,
(Hilde Mattheis [SPD]: Wir haben ja eines! Bitte differenzieren!)
außer dass die Versicherten allein dafür zahlen. Das ist das Konzept, das Sie als Große Koalition vereinbart haben. Das ist zutiefst ungerecht und auf Dauer auch nicht tragfähig. Das wissen auch Sie. So darf man die gesellschaftliche Solidarität nicht strapazieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Nun kommen wir zu einer weiteren Baustelle: Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung produziert viele Verliererinnen und Verlierer. Darüber haben wir gestern sehr lange diskutiert. Gerade bei den kleinen Selbstständigen gibt es große Verwerfungen. Diese gibt es aber auch bei niedrig eingestuften Beamten mit Familie und bei Rentnern, die zum Teil übermäßig hohe Beiträge in der PKV zahlen müssen,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Allerdings!)
obwohl sie nur kleine Renten haben. Das ist soziales Dynamit für die nächste Wahlperiode. Sie haben keinerlei Konzept, wie Sie das Problem angehen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Deshalb wollen wir mit der Bürgerversicherung einen Schritt gehen, der keine Revolution, sondern nur die Weiterentwicklung des heutigen gesetzlichen Systems bedeutet, das sich gut bewährt hat. 90 Prozent der Bevölkerung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)
Die weiteren 10 Prozent wollen wir hereinholen, indem wir den Versicherten ein Angebot machen. Das ist ja sehr oft auch die Lösung von sozialen Problemen, die sich durch dieses Nebeneinander auftun.
Ein weiteres Problem. Wir haben eine unterschiedliche Honorargestaltung bei ärztlichen Leistungen für Privat- und gesetzlich Versicherte. In der Folge finden wir Fachärzte nur noch dort, wo viele Privatversicherte sind.
(Zuruf von der CDU/CSU: Ach wo!)
Das kann doch nicht die Lösung dafür sein, wie wir eine einheitliche und gute Versorgung in allen Landesteilen sicherstellen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben wiederum keine Antwort darauf, wie Sie das angehen wollen. Wir brauchen dringend ein gemeinsames Honorarsystem, das gute Leistungen und mehr Zeit für das Gespräch mit dem Patienten ermöglicht und nicht danach bezahlt, ob jemand privat oder gesetzlich versichert ist. Das muss doch der Weg sein.
Das sind die wesentlichen Kernpunkte der Bürgerversicherung: Es geht darum, alle einzubeziehen. Es geht darum, alle Einkommensarten einzubeziehen, niemandem mehr Risiken aufzubürden, sondern jeden gemäß seiner Leistungsfähigkeit zu veranlagen. Das ist der richtige Weg.
Ich möchte wissen, was Ihre Antwort für eine stabile und gerechte Finanzierung sein wird. Ich habe noch nichts gehört.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])