Auch wenn wir alle nach dem schrecklichen und wohl vorsätzlich herbeigeführten Flugzeugabsturz das dringende Bedürfnis haben, ein solches Vorkommnis für die Zukunft auszuschließen, dürfen wir nicht vorschnell auf Lösungen setzen, die große Teile der Bevölkerung in ein völlig falsches Licht stellen. Immerhin fast ein Drittel der Bevölkerung erleidet im Laufe seines Lebens eine psychische Erkrankung oder erlebt eine tiefgreifende psychische Krise.
Gerade für Menschen mit einer depressiven Erkrankung ist es absolut ungewöhnlich, andere Menschen mit in den Tod zu ziehen. Die Debatte um ein Berufsverbot für an einer Depression Erkrankte oder unter einer anderen psychischen Erkrankung leidenden Menschen verstärkt das Problem, statt eine Lösung zu schaffen. Denn nur wer keine Angst vor unmittelbar damit verbundenen weitreichenden beruflichen und sozialen Konsequenzen hat, wird im Zweifelsfall die notwendige ärztliche und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, die er braucht. Im Gegenteil, er braucht das Vertrauen, dass er sich dem Helfenden wirklich anvertrauen kann.
In den letzten Jahren ist es durch erhebliche Anstrengungen gelungen, die noch immer bestehende Angst und Scham, die viele Menschen mit einer psychischen Erkrankung haben, zu durchbrechen und ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu verbessern. Aber wir sind noch weit entfernt davon, Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder Menschen in einer psychischen Krise die Angst vor einer psychischen Diagnose zu nehmen, weil sie noch immer mit weitreichenden beruflichen und sozialen Nachteilen zu kämpfen haben. Zudem wäre ein Berufsverbot auch in der Praxis ausgesprochen schwer umzusetzen, da eine Abgrenzung stattfinden müsste, bei welchen Erkrankungen und bei welcher Schwere ein solches Berufsverbot einsetzen muss, welche Berufe dabei einbezogen würden und wie lange ein solches rechtlich verankertes Berufsverbot zu gelten hat. Schon jetzt ist jeder Arzt und jeder Psychotherapeut verpflichtet, die Polizei oder eine zuständige Aufsichtsbehörde zu informieren, wenn er in einer Behandlung erfährt, dass eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben anderer besteht.
Eine weitere Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht würde das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient zerstören. Der Patient würde im Zweifelsfall schlicht weg nicht mehr ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Statt in die Grundprinzipien der ärztlichen und psychotherapeutischen Berufsordnung einzugreifen, müssen alle Möglichkeiten des Arbeitsvertragsrechtes und der Schutzpflicht der Arbeitgeber in der Praxis auch angemessen umgesetzt werden. Auch heute schon müssen sich Piloten und andere besondere Berufsgruppen, denen Menschen anvertraut sind, besonderen und wiederkehrenden Belastungstests unterziehen, die in der Regel auch im Arbeitsvertrag vereinbart sind. Diese Gesundheitschecks und der Umgang mit den Ergebnissen müssen verbessert werden, das haben die Vorkommnisse der letzten Wochen gezeigt. Zugleich sollte ein Arbeitnehmer nicht den totalen sozialen Abstieg fürchten müssen, wenn er eine psychische oder körperliche Schwäche oder ein schwerwiegendes Leiden offenbart. Denn das legt nahe, dass er versucht sein Leiden ganz oder so lange wie möglich zu verheimlichen. So sehr wir es uns als Gesellschaft wünschen mögen, wir werden schwerwiegende Persönlichkeitsstörungen, die zu solchen Taten wie einem Amoklauf oder einer vorsätzlich herbeigeführten Katastrophe führen nicht vollständig ausschließen können.