Gesundheitsförderung zielt im Sinne der Ottawa Charta auf einen Prozess, Menschen eine größere Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie somit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Gesundheitsförderndes Handeln ist auf Chancengleichheit gerichtet und will bestehende soziale Unterschiede des gesundheitlichen Wohlbefindens verringern. Gesundheitsförderung ist deshalb nicht allein Aufgabe des Gesundheitssektors, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Diese Vision der Ottawa Charta ist leider noch weit von der Umsetzung entfernt. Denn eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik zu etablieren ist eine große Mission. Das Problem ist die zerklüftete Landschaft im deutschen Gesundheitswesen. Eine verbindliche Koordinierung zwischen Bund, Ländern und Kommunen gibt es nicht. Alle Ansätze laufen oft fest wegen mangelndem Zusammenwirken. Zudem gibt es keine dauerhaften Gelder, weshalb viele gute Projekte als Modellprojekte nach zwei Jahren bereits wieder auslaufen. Dies kennzeichnet die Lage in den Kommunen. Praktisch wird in der Bundespolitik nicht eingelöst, was vollmundig betont wird: Gesundheitsförderung und Prävention in allen Lebenswelten zu verwirklichen.
Prävention wirkt: dies bestätigten die vielen vorgestellten Studien und Praxisbeispiele dieses 17. Kongresses Armut und Gesundheit. Doch die Gesundheitsförderung für sozial Benachteiligte bewegt sich nur im Schneckentempo voran. Die Zielgruppen, die Prävention und Gesundheitsförderung am dringendsten benötigen, werden kaum erreicht. Nur vier Prozent der zielgruppenspezifischen Maßnahmen der gesetzlichen Krankenkassen richten sich beispielsweise direkt an Arbeitslose – dies zeigte der gerade erst vorgelegte Präventionsbericht 2011 des GKV-Spitzenverbandes, in dem erstmalig nach Arbeitslosen gefragt wurde. Seit schwarz-gelb regiert, geben die Krankenkassen immer weniger für Gesundheitsförderung und Prävention aus: im Jahr 2010 waren es wiederum 11 Millionen weniger als 2009 und im Vergleich zu 2008 drosselten die Kassen ihr Engagement sogar um 40 Millionen. Es verbleiben 300 Millionen Euro, von denen 80 Prozent in individuelle Präventionskurse fließen, die vor allem dem Wettbewerb der Kassen dienen. Im Vergleich zu den Gesamtausgaben der Kassen 2010 von 175,7 Milliarden macht das weniger als 0,2 Prozent aus. Da tröstet es wenig, dass die Ausgaben für Angebote in den direkten Lebenswelten, in den Kitas, Schulen, Stadtteilen und Betrieben ein wenig gesteigert wurden. Schlimmer noch: die Bundesregierung verschleppt ihre bereits im Koalitionsvertrag angekündigte Präventionsstrategie seit Jahren. Auf Nachfrage heißt es lapidar: noch in dieser Legislatur werde sie vorgelegt. Konkrete Pläne werden nicht vorgestellt. Dabei wird die Koalition nicht müde, ein Gesetz weiterhin strikt abzulehnen. Diese Hinauszögerungstaktik wird dafür sorgen, dass die Schere bei der gesundheitlichen Chancengleichheit weiter auseinandergeht.
Wenn wir verhindern wollen, dass die Frage eines langen gesunden Lebens nicht zuletzt eine Frage des Geldes ist, dann dürfen wir nicht bequem darauf verweisen, der Wettbewerb der guten Ideen werde es schon richten. Studien zeigen immer wieder, dass sich die Gesundheitsrisiken bereits bei Kindern und Jugendlichen auf die 20 Prozent konzentrieren, die aus sozial benachteiligten Familien oder Familien mit Migrationshintergrund kommen. Sie haben eine deutlich verkürzte Lebenserwartung und auch weniger gesunde Lebensjahre zu erwarten, gehen seltener zum Arzt und haben mehr unter zunehmenden Kosten oder Leistungskürzungen zu leiden. Wir brauchen deshalb keine wirkungslosen Kampagnen und noch mehr Individualprävention für die, die sich die Zuzahlungen leisten können und wollen, sondern Gesundheitsförderung in Settings vor Ort, wo die Menschen leben, lernen, arbeiten und wohnen. Dazu brauchen wir ein Gesetz für Gesundheitsförderung und Prävention, das die Zuständigkeiten von Bund, Ländern, Kommunen und Sozialversicherungsträgern klar regelt und eine verbindliche Finanzierung schafft sowie eine nationale Strategie mit dem Schwerpunkt Gesundheit und soziale Lage, die eine Reorganisation der Gesundheitsförderung und Prävention bei Kindern und Jugendlichen, eine Ausweitung der betrieblichen Gesundheitsförderung, eine Verzahnung von Gesundheitsförderung und Arbeitsförderung und ein Handlungsprogramm für Gesundheitsförderung und Prävention im Alter beinhaltet. Und vor allem brauchen wir eine gute Zusammenarbeit der Träger und Vereine vor Ort. Denn Gesundheitsförderung findet in den Kommunen statt.