Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich bin froh, dass wir endlich über eine Reform der Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern nach § 63 StGB diskutieren; denn der Änderungsbedarf ist groß und eine Reform schon lange überfällig. Das Schicksal von Gustl Mollath oder von Ilona Haslbauer hat bundesweit für Aufsehen gesorgt. Sie haben deutlich gemacht, dass es strukturelle Defizite im Maßregelvollzug gibt, die zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Freiheitsrechte Einzelner führen. Dazu gehören nicht nur eine fälschliche Einstufung als psychisch krank und gefährlich, sondern auch, dass vermindert Schuldfähige oft sehr lange und ohne zeitliche Begrenzung festgehalten werden.
Die Zahl der Menschen, die auf Grundlage des § 63 StGB in psychiatrischen Krankenhäusern untergebracht werden, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Oft sind sie jahrelang eingesperrt und mit Medikamenten "versorgt", ohne dass ein dementsprechendes Anlassverhalten dies rechtfertigen könnte. Häufig wird ihnen auf entwürdigende Weise viel länger die Freiheit entzogen, als dies bei einer strafrechtlichen Verurteilung wegen derselben Tat der Fall gewesen wäre. Eine Maßregel aber darf für den betroffenen Menschen nicht grundrechtsverletzender sein als eine Kriminalstrafe.
Der vorliegende Gesetzentwurf versucht diese Unverhältnismäßigkeit etwas zu korrigieren. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Leider ist dieser Schritt aber viel zu kleinteilig. Das sehen auch viele Fachverbände und Juristen so, die befürchten, dass die vorgeschlagenen Änderungen sich kaum auf die Praxis auswirken werden.
Die Bundesregierung ist gefragt, ein Gesamtkonzept zum Umgang mit vermindert schuldfähigen oder in Krisensituationen gewaltbereiten Patientinnen und Patienten vorzulegen, in dessen Mittelpunkt die individuelle Unterstützung und Versorgung besonders schwer psychisch kranker Menschen stehen. Der beste Schutz der Allgemeinheit besteht aus frühzeitiger Hilfe, Therapie und Krisenintervention, denn jede psychische Erkrankung, jede Suchterkrankung und jede psychische Auffälligkeit hat eine Vorgeschichte. Dazu gehören stationsersetzende Behandlungsmöglichkeiten, eine flexible und wohnortnahe Versorgung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung, ausreichend ambulante Krisenintervention und -begleitung sowie die Einbeziehung von Psychotherapie und psychosozialer Unterstützung vor Ort. Insgesamt müssen die Angebotsformen sich verstärkt am individuellen Bedarf der Erkrankten und ihrer Angehörigen orientieren. Nach einer forensischen Behandlung braucht es eine gute und intensive in die Gemeindepsychiatrie eingebettete Nachsorge.
Im Vergleich zur Allgemeinpsychiatrie hat der Maßregelvollzug in den letzten Jahren viel weniger von patientenorientierten Reformen profitiert. Daher ist es dringend notwendig, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auch über eine Öffnung des § 63 StGB für ambulante Behandlungen und damit die Beachtung des – auch vom Bundesverfassungsgericht betonten – Ultima-Ratio-Gebots bezüglich der Unterbringung diskutieren. Es muss möglich sein, dass in jedem Fall weniger einschneidende, nicht freiheitsentziehende Maßnahmen geprüft werden und, wenn nötig, angeordnet werden. Dafür müssen natürlich auch geeignete ambulante Therapieangebote ausgebaut werden. In dem Eckpunktepapier aus dem BMJ aus dem Jahr 2013 heißt es noch: "erforderlich ist ggf. eine Stärkung der ambulanten Versorgung vor Ort, da eine Unterbringung immer nur das letzte Mittel sein darf." Warum dieser Punkt in dem vorliegenden Entwurf völlig ausgeklammert wird, ist unverständlich. Nur so kann wirklich eine ausgewogene Gewichtung zwischen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits geschaffen werden. Es ist jedenfalls wenig hilfreich, wenn die gesetzlichen Änderungen sich darauf beschränken, dass Betroffene zwar ein paar Jahre früher aus der Unterbringung entlassen werden, sie aber mangels ambulanter Therapieangebote und Unterstützung im Alltag nach kurzer Zeit in eine geschlossene Abteilung der Allgemeinpsychiatrie eingewiesen werden.
Wir sehen auch großen Änderungsbedarf hinsichtlich des gesamten Gutachterwesens – dieses muss grundlegend auf den Prüfstand.
Der Gesetzentwurf sieht erhöhte Anforderungen an (externe) Sachverständigengutachten bei der Überprüfung der Unterbringung nach § 67 e StGB vor, die aus unserer Sicht jedoch nicht ausreichend sind. Insbesondere ist fraglich, ob nichtapprobierte Rechtspsychologen für die notwendige Begutachtung ausreichend Fachkenntnis haben. Die Bundespsychotherapeutenkammer schlägt insofern vor, als Sachverständige nur Psychologische Psychotherapeuten oder Fachärzte für Psychiatrie bzw. Psychosomatische Medizin zuzulassen, die zusätzlich über ausreichend Erfahrung in der forensischen Psychiatrie sowie entsprechende Fachkenntnisse in der Gutachtenerstellung verfügen.
Die vorgeschlagene Regelung zur externen Begutachtung sollte aber aus weiteren Gründen nochmals hinterfragt werden. Insbesondere dahin gehend, ob wir hier mit wenig den Einzelfall berücksichtigenden Regelungen hinsichtlich Begutachtungsintervallen sowie der zu benennenden Gutachter tatsächlich unverhältnismäßiger Unterbringung entgegenwirken können. Möglich wäre auch, eine flexible Lösung im Gesetz vorzusehen. Diskussionswürdig ist zum Beispiel der Vorschlag, Verfahrensbeteiligten die Möglichkeiten einzuräumen, beim Vollstreckungsgericht anlass- und anliegenbezogen die Einleitung eines externen Gutachtens anzuregen.
Die Bundesregierung adressiert wichtige Punkte – bleibt aber halbherzig, wenn es konkret wird. Sie benennt engere Anordnungsvoraussetzungen, um die Schwelle zur Unterbringung zu erhöhen. Dabei geht sie jedoch nicht weit genug. Die neuen Voraussetzungen berücksichtigen längst nicht ausreichend den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Taten mit nur wirtschaftlichem Schaden sollten keine unbefristete Unterbringung rechtfertigen. Nicht verhältnismäßig ist, dass bei Vorliegen von "besonderen Umständen" auch leichtere Ausgangstaten für eine Unterbringung ausreichen sollen.
Ich erwarte, dass die Koalitionsfraktionen die vielseitige Kritik ernst nehmen und den Gesetzentwurf nachbessern, um eine verhältnismäßige Gewichtung zwischen dem Freiheitsentzug des Einzelnen einerseits und dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft andererseits zu schaffen.