Ein Gastbeitrag für die "Welt", erschienen in der Print-Ausgabe und online auf welt.de

Von Maria Klein-Schmeink
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Krankenkassen dazu zwingen, ihre Rücklagen abzubauen und die Beiträge weiter zu senken. Was auf den ersten Blick gut aussieht, hat enorme Risiken, warnt eine Gesundheitsexpertin der Grünen.
Der Bundestag berät erstmals das Versichertenentlastungsgesetz. Der Gesetzentwurf soll die Parität wieder einführen. Es war längst überfällig, dass die Lasten und Kosten unseres Gesundheitswesens wieder fair und gerecht zwischen den Beschäftigten und ihren Arbeitgebern geteilt werden. Das entlastet die Versicherten ganz konkret um 6,9 Mrd. Euro jährlich.
Die Union hat sich dem immer entgegengestellt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wollte deshalb dem Gesetzentwurf seinen eigenen Stempel aufdrücken. Er will die Krankenkassen dazu zwingen, ihre Rücklagen abzubauen und die Beiträge weiter zu senken. Was auf den ersten Blick für viele vielleicht ganz gut aussieht, offenbart bei einem zweiten Blick enorme Risiken für die Versicherten.
Schon heute schielen die Krankenkassen im Wettbewerb vor allem auf die Höhe des Beitrags und nicht auf die Qualität der Versorgung. Viele Patientinnen und Patienten kennen das. Sind sie länger krankgeschrieben, erhalten sie Anrufe von ihrer Krankenkasse. Sind sie auf zum Beispiel Windeln, Kuren oder Überweisungen zum Therapeuten angewiesen, feilschen die Krankenkassen um jeden Cent. Für chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen etwa sind die Leistungen oft existenziell. Es ist geradezu absurd, dass eine schlechtere Behandlung von Patientinnen und Patienten auch noch belohnt wird. Gesetzliche Krankenkassen mit besseren Leistungen haben dagegen das Nachsehen.
Setzt sich Spahn mit seinem Vorschlag durch, wird sich der Trend zur Discounter-Kasse verschärfen. Das wird vor allem Versicherte in jenen Krankenkassen treffen, die heute schon einen vergleichsweise hohen Beitragssatz haben. Denn sie geraten im Wettbewerb mit Kassen, denen es gut geht und die deswegen die Beiträge stark senken können, immer mehr ins Hintertreffen.
Wettbewerb zwischen Krankenkassen ist gut. Er muss aber vom Kopf auf die Füße gestellt werden, damit die Patientinnen und Patienten nicht unter die Räder geraten. Deswegen darf sich der Wettbewerb nicht mehr ausschließlich um die Höhe des Beitrages drehen. Vielmehr müssen die Kassen die Möglichkeit bekommen, mit guter Versorgung und erstklassigem Service punkten zu können. Wie kann das gehen?
Der erste Punkt ist: Die Versicherten benötigen mehr Transparenz. Sie müssen genauso wie das bei Krankenhäusern geplant ist, auf den ersten Blick erkennen, bei welcher Kasse sie gut versorgt und anständig betreut werden. Welche Kasse setzt sich für die Gesunderhaltung ihrer Versicherten ein? Welche Kasse lehnt Anträge auf Kuren überdurchschnittlich häufig ab? Welche Kasse investiert in neue Versorgungsmodelle zum Beispiel für Diabetiker oder ältere Patientinnen und Patienten?
All das sollen Versicherte auf einen Blick erkennen können und so entscheiden, welche Krankenkasse am besten zu ihnen passt. Indikatoren, die zur Bewertung herangezogen werden könnten, gibt es genug. Etwa Versichertenbefragungen, Gesundheitsergebnisse der jeweiligen Krankenkasse, die auch berücksichtigen, wie gut oder schlecht etwa sozial Benachteiligte oder Menschen mit Behinderung versorgt werden, die Teilnahme an regionalen Versorgungskonzepten oder der Umgang mit sozialen Bürgerrechten der Versicherten.
Der zweite Punkt ist: Krankenkassen benötigen mehr Möglichkeiten, auf die Qualität der Versorgung Einfluss zu nehmen. Hier hat der Bundesrat in der vergangenen Woche einen interessanten Vorschlag gemacht, den die große Koalition aufgreifen sollte: Krankenkassen sollen Verträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen schließen können. Damit wäre es beispielsweise möglich, gemeinsam mit den Ärztinnen und Ärzten höhere Qualitätsstandards zu vereinbaren oder bestimmte Leistungen schneller in die Versorgung zu bekommen.
Statt auf einen ruinösen Wettbewerb um die billigsten Kassen zu setzen, sollten Jens Spahn und die große Koalition den Qualitätswettbewerb stärken. Das eigentliche Ziel sollte nämlich sein, dass es sich für die Krankenkassen lohnt, sich um eine gute Versorgung vor Ort zu engagieren. Denn das würde den Versicherten und vor allem gerade chronisch kranken, älteren und Menschen mit Behinderung wirklich nutzen.