Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zur namentlichen Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 2120 (2013) vom 10. Oktober 2013 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (BTDRS: 18/436)

 

 

Persönliche Erklärung der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Katja Dörner, Katharina Dröge, Uwe Kekeritz, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Ulle Schauws

 

 

 

Die Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Entscheidungen, die Abgeordnete des Deutschen Bundestages zu treffen haben. Sie fordert wie kaum eine andere das Gewissen und Herz der Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Dem Engagement der in Afghanistan eingesetzten zivilen Helferinnen und Helfer, Soldatinnen und Soldaten sowie ihren Familienangehörigen gilt unser Dank und unsere Wertschätzung.

 

Die jahrelange Dominanz militärischer Zielsetzungen gegenüber zivilen Lösungsansätzen und eine fehlende entwicklungspolitische Strategie waren die zentralen Fehler der deutschen Afghanistanpolitik. Auch in diesem Einsatzjahr findet das deutsche militärische Engagement in einem Umfeld gezielter Tötungen durch Kommandoaktionen und Drohnenangriffe anderer ISAF-Nationen statt. Diese Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung lehnen wir entschieden ab. Sie konterkariert eine Verhandlungslösung und steht somit einer friedlichen Lösung des Konfliktes entgegen.

 

Da der ISAF-Einsatz zur Gewalteskalation in Afghanistan beigetragen hat, haben einige von uns dem Mandat in der Vergangenheit nicht zugestimmt. Das vorliegende Mandat beinhaltet die letzte Verlängerung dieses Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Damit soll zum Endes des Jahres 2014 der Abzug der deutschen Kampftruppen aus Afghanistan erfolgen. Dies ist ein richtiger Schritt, den wir seit Jahren fordern. Da der Einsatz nun in erster Linie die Ausbildung und Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte umfasst, werden wir das Mandat nicht ablehnen und uns bei der Abstimmung enthalten. Unser Votum richtet sich nicht gegen die in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten, sondern gegen die langjährige falsche Afghanistanpolitik der Bundesregierungen der letzten Jahre.

 

Auch und gerade nach dem Ende des ISAF-Einsatzes dürfen wir die Zukunft der Menschen in Afghanistan nicht aus dem Blick verlieren. Die deutsche Verantwortung reicht über 2014 hinaus, denn der Weg hin zu Frieden und Sicherheit, politischer Mitbestimmung, wirtschaftlichem Aufschwung und der Achtung der Menschrechte muss weiterhin mit zivilen Mitteln und aller Tatkraft begleitet und unterstützt werden.

 

 

 

 

Strategie der Aufstandsbekämpfung ist gescheitert

 

Seit über einem Jahrzehnt beteiligt sich die Bundeswehr am ISAF-Einsatz in Afghanistan. Doch noch immer ist die Sicherheitslage sehr angespannt, unberechenbar und besorgniserregend. Laut UNAMA ist die Anzahl der zivilen Opfer im ersten Halbjahr 2013 erneut um 23 Prozent gestiegen.

 

Die vergangenen Jahre waren geprägt von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ISAF-Truppen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und den Taliban und anderen Aufständischen auf der anderen. Für die meisten zivilen Opfer sind die Anschläge der Aufständischen verantwortlich. Aber auch die Strategie der offensiven Aufstandsbekämpfung durch die ISAF-Truppen hat zu einer zunehmenden Eskalation beigetragen. Die in den letzten Jahren vor allem von den USA und anderen ISAF-Nationen durchgeführten gezielten Tötungen mit unzähligen zivilen Opfern in Afghanistan und Pakistan tragen nach wie vor maßgeblich zur Eskalation der Gewalt bei. Der Einsatz von bewaffneten Drohnen fordert zahlreiche zivile Opfer, zerstört den Rückhalt in der afghanischen Bevölkerung und fördert die Radikalisierung und den Zulauf bei den Aufständischen. So werden die Bemühungen um eine Verhandlungslösung, die Stabilisierung der Sicherheitslage und der Erfolg des Transitionsprozesses in Afghanistan konterkariert. Die Strategie, mit militärischen Mitteln den Frieden in Afghanistan erzwingen zu wollen, ist gescheitert.

 

Wir unterstützen, dass der ISAF-Einsatz beendet und die Kampftruppen der Bundeswehr mit Auslaufen des vorliegenden Mandates zum Jahresende abgezogen werden. Nach dem zu lange auf eine militärische Lösung des Konfliktes gesetzt wurde, ist es richtig, der afghanischen Regierung nun die vollständige Sicherheitsverantwortung zu übergeben. Doch die Herausforderungen, die die Afghaninnen und Afghanen in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, sind nach wie vor enorm.

 

Versöhnung und Wiederaufbau verlässlich unterstützen

 

Für einen nachhaltigen Frieden in Afghanistan muss ein breiter Versöhnungsprozess stattfinden und der wirtschaftliche und institutionelle Wiederaufbau des Landes vorangetrieben werden. Menschenrechtsverletzungen, ungeachtet von welcher Seite, müssen aufgedeckt und aufgearbeitet werden. Nur so gibt es eine Chance, dass der Versöhnungsprozess in der nach wie vor traumatisierten und zerrissenen afghanischen Gesellschaft gelingen kann. Ein Waffenstillstand reicht nicht aus, um Frieden zu schaffen. Auch wenn dies im von Krieg und Gewaltherrschaft geprägten Afghanistan schwierig ist und schmerzhafte Kompromisse abverlangt, müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um ein größtmögliches Maß an Gerechtigkeit walten zu lassen.

 

Die Afghanistanpolitik der letzten Jahre hat es versäumt, sich den mit einem echten Versöhnungsprozess verbundenen Herausforderungen zu stellen. Wiederaufbau und Versöhnung gehören hierbei ins Zentrum. Doch die Unterstützung bei der Entwicklung grundlegender Staatsstrukturen und einer funktionierenden Verwaltung wurde vernachlässigt. Dem Engagement insgesamt hat es an einem Gesamtkonzept und einer sinnvollen Schwerpunktlegung für die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans gefehlt. Diese müssen sich an den Bedürfnissen der afghanischen Bevölkerung und den Gegebenheiten vor Ort orientieren. Der für die afghanische Wirtschaft zentrale landwirtschaftliche Sektor und die Modernisierung des afghanischen Bildungssystems müssen dabei im Vordergrund stehen. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus ist die Stärkung der Zivilgesellschaft, insbesondere von Frauen.

Afghanistan nach dem ISAF-Einsatz

 

Auf dem langen und steinigen Weg zu einem nachhaltigen Frieden in Afghanistan ist eine langfristige und verlässliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft unabdingbar. Der zivile Aufbau Afghanistans muss auch nach dem Ende des ISAF-Einsatzes tatkräftig unterstützt werden. Da das Land noch viele Jahre auf erhebliche Hilfe von Außen angewiesen sein wird, müssen die auf der Tokio-Geberkonferenz gemachten Zusagen eingehalten und die zivile Unterstützung mindestens auf dem zugesagten Niveau von 430 Millionen Euro jährlich fortgeführt werden.

 

Berlin, den 20. Februar 2014