Persönliche Erklärung zur namentlichen Abstimmung am 4. Dezember im Deutschen Bundestag zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS (Daesh)
Warum wir den bewaffneten Einsatz ablehnen müssen:
Nachdem bereits beim Einsatz im Nordirak die vom Grundgesetz vorgeschriebenen Voraussetzungen für einen Bundeswehreinsatz ignoriert worden sind, wird mit dem Einsatz in Syrien auch die weitere Hürde des Völkerrechts abgeräumt.
Bislang hat sich die Bundesregierung immer von der amerikanischen Sichtweise eines „war on terror“, der zu einem weltweiten beliebigen Einsatz militärischer Mittel, also zum unbegrenzten Krieg, berechtige, distanziert.
Indem aber jetzt Art. 51 der UN-Charta (Selbstverteidigung) herangezogen wird, um auf einen Terrorakt innerhalb Europas mit militärischen Mitteln zu reagieren, gibt die Bundesregierung diese Haltung auf und schwenkt auf einen Kurs ein, der nicht mehr als Auslegung, sondern nur noch als Bruch von Völkerrecht bezeichnet werden kann.
In der Konsequenz würde jeder Staat künftig selbst entscheiden, wo und wann er einen kriminellen Akt für schlimm genug hält, um darauf mit kriegerischen Mitteln zu reagieren und das Gewaltmonopol der UNO außer Kraft zu setzen.
Der Mainstream lautet nun: eine Rechtsgrundlage wäre ganz schön, aber wenn es ernst wird, kann man sich nicht durch rechtliche Argumente hindern lassen. Das ist der Abschied vom Konsens der Völkergemeinschaft nach 1945, wonach Krieg nur durch die Verrechtlichung der internationalen Beziehungen vermieden werden kann und muss.
Manche glauben auch, auf eine Rechtsgrundlage könne es nicht ankommen, wenn es wenigsten eine gemeinsame Strategie gäbe. Sie verkennen, dass die fehlende Rechtsgrundlage nichts weiter ist als das dokumentierte Fehlen einer gemeinsamen Strategie. Gäbe es eine gemeinsame Strategie, wäre sie im Sicherheitsrate beschlossen worden.
Die Mütter und Väter der UN-Charta haben sich die Normen nicht einfach so ausgedacht, sondern aus der Erfahrung verheerender Vernichtung heraus formuliert. Gesichtswahrung und missverstandene Solidarität standen schon zu oft am Beginn verheerender Kriege. Statt dieser Logik zu widerstehen und die UN-Charta zu verteidigen, gibt nun auch die Bundesregierung ihren Widerstand dagegen auf.
Wer aber die Verfassung und das Völkerrecht im Angesicht großer Betroffenheit wie eine lästige juristische Formalie betrachtet, gibt der Spirale aus Gewalt und Gegengewalt einen Freiraum, den er selbst nicht mehr begrenzen kann.
Zu den Rechtsgrundlagen im Einzelnen:
UN-Charta:
Die UN-Resolution 2249 vom 20.11.2015 fordert alle Staaten auf, im Rahmen des Völkerrechts alle notwendigen Mittel zu ergreifen, um terroristische Handlungen zu verhüten und den sicheren Zufluchtsort zu beseitigen, den der IS in erheblichen Teilen Iraks und Syriens geschaffen habe. Dennoch fehlt die ausdrückliche Autorisierung von Gewaltanwendung und der dafür unverzichtbare Bezug auf Kapitel VII der UN-Charta. Der Verweis auf das Völkerrecht durch das Gremium, das im Rahmen seiner Zuständigkeit selber Völkerrecht setzen kann, macht zusätzlich deutlich: der Sicherheitsrat hätte die Möglichkeit gehabt, Gewaltanwendung zu autorisieren, und hat es dennoch nicht getan. Russland hatte einen eigenen Vorschlag vorgelegt, wonach die Lufteinsätze mit Einverständnis der syrischen Regierung hätten erfolgen können. Auf dieser Grundlage agiert die russische Luftwaffe seit Ende September. Als man sich darauf nicht einigen konnte, hat die russische Seite ihren Entwurf zugunsten der französischen Vorlage zurückgezogen. Diese Kooperation macht deutlich, dass der Sicherheitsrat keinesfalls blockiert wäre, wie manche behaupten, sondern durchaus handlungsfähig ist. Die amerikanischen Lufteinsätze wurden seinerzeit von der syrischen Regierung ebenfalls begrüßt mit der Bedingung, dass diese mit Ihr koordiniert würden. Diese Bedingung haben die Amerikaner zwar brüsk zurück gewiesen. Dennoch ist davon auszugehen, dass eine solche Koordinierung tatsächlich stattgefunden hat, da anderenfalls das Agieren im syrischen Luftraum schlicht nicht möglich gewesen wäre. Untragbar ist die Berufung auf Art. 51 UN-Charta. Die Selbstverteidigung kann nur gegen den Angreifer gerichtet sein und einen gegenwärtigen Angriff abwehren. Wer die Angreifer von Paris gesteuert hat, ist im Einzelnen noch zu ermitteln. Sicherlich war es nicht der syrische Staat. Anders als nach 9/11 gibt es auch in der jetzigen Resolution 2249 keinerlei Bezug auf Art. 51 (so auch Prof. Reinhard Merkel, FAZ 19.11.) Nichts ist gefährlicher für das System der kollektiven Sicherheit nach der UN-Charta und damit für den Weltfrieden als eine staatliche Befugnis zur militärischen Gewalt, die sich nicht mehr als Selbstverteidigung gegen akute Angriffe, sondern darüber hinaus als Gefahrenvorsorge für die Zukunft versteht.
Grundgesetz:
Verstößt ein Militäreinsatz gegen das Völkerrecht, ist er automatisch immer auch verfassungswidrig, weil das Grundgesetz eine strikte Bindung an das Völkerrecht vorsieht. Darüber hinaus schreibt Art. 24 GG fest, dass die Bundeswehr im Ausland jenseits der Selbstverteidigung nur im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit tätig werden darf. Ohne UN-Mandat ist dies nicht der Fall und der Militäreinsatz ist daher ebenso verfassungswidrig wie der Einsatz im Nordirak.
Art 42 Lissabon-Vertrag
Die EU ist weder ein Militärbündnis, noch ein System kollektiver Sicherheit! (so auch Röttgen in der FAZ, 28.11.) Nach Art. 42 VII Lissabon-Vertrag sind die Mitglieder verpflichtet, sich im Fall eines bewaffneten Angriffs gegenseitig alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung zu leisten. Zunächst einmal sind die Attentate von Paris als verbrecherische Akte krimineller Akteure einzuordnen und kein bewaffneter Angriff mit militärischen Mitteln, so dass schon aus diesem Grund keine militärischen Maßnahmen geschuldet sind. Darüber hinaus wären diese Angriffe nicht mehr gegenwärtig. Das allerdings wäre weitere Voraussetzung, um das Selbstverteidigungsrecht angegriffener Staaten auszulösen. Das Selbstverteidigungsrecht zum Krieg außerhalb der Kontrolle und ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat wird nur im engen Rahmen eines akut gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden Angriffs gewährt. Darüber besteht im Völkerrecht Einigkeit. Die Beistandspflicht des Art. 42 LV wird aber ausdrücklich „im Einklang mit Art. 51 der UN-Charta“ gewährleistet. Die EU ist außerdem kein Militärbündnis, da sonst die neutralen Staaten wie bspw. Österreich gar nicht hätten Mitglied werden dürfen. Das war auch Konsens unter den Vertragsschließenden. Es ist besonders verheerend, wenn ausgerechnet jetzt in Krisenzeiten, den bislang unberechtigten Unterstellungen linker Gegner des Lissabon- Vertrages im Hinblick auf eine Militarisierung der EU Vorschub geleistet wird. Immerhin macht sich der Außenminister diese Auslegung auch nicht zu eigen. Nach seiner Aussage in der Sonderfraktionssitzung der grünen Bundestagsfraktion soll der Lissabon-Vertrag hier nicht als Grundlage für militärische Interventionen heran gezogen werden.
Sicherheitspolitische Argumente:
Am Ende sind alle militärischen Einsätze, die jenseits einer abgestimmten Strategie der internationalen Gemeinschaft erfolgen, kontraproduktiv, weil sie sinnloser Gewalt weitere sinnlose Gewalt entgegensetzen, um die eigene Hilflosigkeit zu kaschieren. Jeder scheinbare Erfolg gegen den IS in Syrien führt nur zu einem Ausweichen in den libyschen Rückzugsraum. Wer mit tunesischen Sicherheitspolitikern spricht, weiß, was das für deren Land bedeutet. Einem Angriff des IS aus Libyen könnte die tunesische Armee schlicht nicht standhalten. Libysche Beobachter berichten, dass der IS aus der Luft mit Waffen versorgt wird, und zwar mit modernstem amerikanischen Material, von dem die tunesischen Streitkräfte nur träumen können. Unkoordinierte Bombardierungen sind keine Strategie gegen den IS. Im Gegenteil: bislang hat der IS jede Bombardierung zum Anlass genommen, beim jeweiligen Akteur Anschläge zu begehen. Seit Ende September fliegt Russland Luftangriffe und Ende Oktober erfolgte der Anschlag auf das russische Passagierflugzeug über dem Sinai. Die Franzosen bombardieren ebenfalls seit September 2015. Es wäre naiv zu glauben, dass sich die Anschlagsgefahr in Deutschland durch ein militärisches Eingreifen nicht substantiell erhöhen würde. Hinzunehmen wäre dieses Risiko aber allenfalls dann, wenn es der Preis für irgendeine Aussicht auf Erfolg wäre. Nach der jetzigen Lage wäre der Preis schlicht umsonst gezahlt. Es führt kein Lösungsweg an einer Einigung im Sicherheitsrat vorbei. Die deutsche Bundesregierung muss deutlich machen, dass sie dann und nur dann zu einer militärischen Unterstützung bereit ist. Hier muss sie jetzt ihr ganzes Gewicht in die Waagschale werfen! Wenn sie jetzt dem Druck für einen Kriegseinsatz nachgibt, gibt es niemanden mehr, der glaubwürdig Druck für eine Einigung im Sicherheitsrat aufbauen kann. Die Verhandlungen über die Resolution 2249 haben gezeigt, dass die Akteure durchaus kooperationsfähig sind. Jetzt gäbe es eine große Chance, den Sicherheitsrat als Inhaber des globalen Gewaltmonopols zu stärken, anstatt über die illegitime Ausdehnung des Art. 51 UN-Charta die Grundlagen des Völkerrechts insgesamt zu unterminieren. Die Bundesregierung muss darauf bestehen, dass eine Koordinierung der militärischen Aktionen, mithin eine gemeinsame Strategie der internationalen Gemeinschaft gefunden und im Sicherheitsrat beschlossen wird, bevor sie sich an militärischer Gewalt beteiligt. Welche gravierenden Folgen ein unabgestimmtes Agieren verschiedener Akteure im syrischen Luftraum haben kann, haben wir gerade erst beim Abschuss des russischen Flugzeuges durch die Türkei erlebt. Was den IS hingegen wirklich getroffen und verunsichert hat, ist die Willkommenskultur gegenüber den muslimischen Flüchtlingen. Diese Verhaltensweise des verteufelten Westens stellt die eigene Existenzberechtigung des Islamischen Staates in Frage und wirkt bedrohlicher als jede Bombe. Eine gemeinsame Strategie sollte daher auch diesen Aspekt nicht aus den Augen verlieren.
4. Dezember 2015