Es gibt mittlerweile weit über 100.000 Apps für Smartphones, die im weitesten Sinne etwas mit Gesundheit zu tun haben. Doch für die Patientinnen und Patienten wird dieser Dschungel immer undurchschaubarer. Halten die Apps, was sie versprechen? Was passiert mit den Daten? Was macht eigentlich eine gute App aus? Könnte ein Siegel dabei helfen, die nötige Transparenz zu schaffen? Über diese Fragen haben wir gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Forschung und Praxis, mit Entwicklerinnen und Entwicklern von Apps und Verbraucherschützern im Berliner Rainmaking Loft diskutiert.
Konstantin von Notz, der als stellvertretender Fraktionsvorsitzender die Gäste begrüßte, hob die möglichen Chancen der Digitalisierung für unser Gesundheitswesen hervor. Trotz möglicher Risiken von Apps und mangelnder Transparenz sei „Verzicht keine Lösung“. Stattdessen seien klare Qualitätsstandards nötig, so von Notz. Auch die gesundheitspolitische Sprecherin Maria Klein-Schmeink unterstrich die Potenziale von Apps für die Gesundheitskompetenz und eine bessere Versorgung.

Qualitätskriterien bei Apps

Urs-Vito Albrecht, Leiter der so genannten Charismha-Studie, die sich mit Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps auseinandersetzte, stellte in seinem Vortrag die Frage nach geeigneten Qualitätskriterien für Apps in den Mittelpunkt. Die Nutzerinnen und Nutzer der App müssten insgesamt mit den möglichst unabhängigen Informationen zur App in die Lage versetzt werden, eine aufgeklärte Entscheidung zu treffen. Der Nutzen der App müsse durch den Hersteller klar beschrieben werden. Dies gelte auch für etwaige Risiken. Es müsse eine transparente Datenschutzerklärung geben. Die Quellen für die in der App enthaltenen Gesundheitsinformationen müssten angegeben werden. Dies gelte auch für mögliche Interessenkonflikte bei Autorinnen und Autoren der Informationen.
Martin Wiesner, Medizininformatiker an der Hochschule Heilbronn, zeigte in seinem Vortrag am Beispiel von drei Apps, die die Herzfrequenz messen, die unterschiedliche Qualität von Apps. Nur eine einzige besitze eine Zertifizierung als Medizinprodukt. Es fehle den Patientinnen und Patienten oft an Kompetenzen, um die Gesundheitsinformationen in der App, die Sicherheit und den Datenschutz bewerten zu können. Abhilfe könne ein Qualitätssiegel liefern. Dies könne durch ein anerkanntes, vertrauenswürdiges Gremium etwa unter Beteiligung von Patientinnen und Patienten und Krankenkassen vergeben werden. Dies könne beispielsweise die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte sein. Vorhandene Ansätze wie beispielsweise die Bewertungsplattform HealthOn müssten einbezogen werden. Dieses Siegel müsse mittelfristig in die App-Stores implementiert werden. Nur dort sei es für die Anwenderinnen und Anwender „sichtbar“.
Statt eines oft diskutierten optischen Siegels schlug er ein kryptografisches Siegel beziehungsweise Zertifikat vor, wie dies beispielsweise bei Webseiten oder E-Mails eingesetzt wird. Diese werde von einer zentralen Stelle nur für eine bestimmte Zeit vergeben und müsse nach einer Weile erneuert werden. Auch könne es widerrufen werden, falls die App bestimmte Eigenschaften nicht mehr einhalte.

Skepsis gegenüber Siegel

In der von der Journalistin Claudia Liebram moderierten Diskussion überwog die Skepsis gegenüber einem Siegel. Ursula Kramer beschäftigt sich seit 2011 mit der Qualität von Apps und leitet ehrenamtlich die App-Bewertungsplattform HealthOn. Das Angebot tatsächlich relevanter Apps sei überschaubar. Es gäbe in den Stores insgesamt 14.000 deutschsprachige Apps mit Gesundheitsbezug. Davon würden nur etwa 1.400 Apps eine größere Nutzerzahl erreichen. Lediglich 10-12 besäßen eine Zulassung als Medizinprodukt. Sie wies darauf hin, dass die Einführung eines Siegels viel zu lange dauere. Die Erfahrungen der Nutzerinnen und Nutzer müssten in die Bewertung von Apps einbezogen werden. Für Kramer war in erster Linie relevant, wie gut eine App bei den Nutzerinnen und Nutzern abschneide. Der Nutzen einer App hänge ganz stark auch von den Bedürfnissen der einzelnen Anwenderin oder des einzelnen Anwenders ab. Sie würden damit auch an der Qualitätsentwicklung von Apps beteiligt. Die Digitalisierung führe damit auch zu einer Stärkung der Patientinnen und Patienten im Gesundheitssystem.
Auch Boris Gauss von welldoo, einem Unternehmen, das mehrere Apps beispielsweise für Krankenkassen entwickelt hat, sprach sich gegen ein Siegel aus. Stattdessen sollten die Nutzerinnen und Nutzer die nötige Kompetenz vermittelt werden, selbst anhand von Kriterien die für sie geeignete App auszuwählen. Schon im Entwicklungsprozess würden verschiedene Perspektiven einbezogen. Das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer sei sehr wichtig, um die Apps an deren Bedürfnisse anzupassen. Die Patientinnen und Patienten sollten sich bei der Auswahl geeigneter Apps auch die Geschäftsmodelle der Anbieter und deren Interessen genau anschauen.
Nach Ansicht von Ingmar Streese von der Verbraucherzentrale Bundesverband fehle es an Orientierung für Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine Bewertung von Apps müsse angesichts der Dynamik des Marktes schnell gehen. Er forderte mehr Transparenz bei der Qualität, zum Beispiel durch ein unabhängiges „Transparenzportal“. Dabei müssten auch Datenschutzkriterien berücksichtigt werden: Wo gehen die Daten hin? Sind sie dort sicher? Streese verwies auch auf das Haftungsrecht. Wer hafte, wenn ein Patient aufgrund einer fehlerhaften App beispielsweise eine Herzattacke bekomme. Die Beratung der Verbraucherinnen und Verbraucher sei angesichts fehlender Qualitätskriterien und der Fülle der auf dem Markt angebotenen Apps bislang schwierig.
Martin Wiesner betonte, in die Bewertung von Apps müssten auch Expertinnen und Experten einbezogen werden, die beispielsweise prüfen könnten, ob das geltende Recht eingehalten werde oder ob ein Missbrauch der Daten ausgeschlossen sei.

Mehr Orientierung für Patientinnen und Patienten

Die Nutzerinnen und Nutzer müssten sich darauf verlassen können, dass die App funktioniere und beispielsweise angezeigte Messwerte auch tatsächlich stimmen, so Maria Klein-Schmeink. Hier biete auch das Medizinprodukterecht schon Möglichkeiten. Fragwürdig seien aus ihrer Sicht etwa Apps von Krankenkassen, die lediglich dem Marketing dienen. Besonders bei „gesundheitsnahen Lifestyle-Apps“ wünsche sie sich mehr Orientierungshilfe. Angesichts der Geschwindigkeit auf dem App-Markt habe sie aber noch zahlreiche Fragen zur Umsetzung eines Siegels. Sie kritisierte, dass die Bundesregierung bislang keine Strategie habe, um die Entwicklung zu gestalten. Durch die Digitalisierung könne viel für bessere Gesundheitsinformationen, mehr Partizipation und Teilhabe der Patientinnen und Patienten sowie eine bessere Versorgung und Betreuung zum Beispiel von chronisch Kranken erreicht werden.
Abschließend dankte Klein-Schmeink den Referentinnen und Referenten sowie den übrigen Gästen für die spannende Diskussion und die informativen Inputs. Die grüne Fraktion werde auf dieser Basis ihre Meinungsbildung zu einem Siegel und mehr Qualitätstransparenz für Gesundheits-Apps fortsetzen.