Video zur Rede
Video zur gesamten Debatte
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Maria Klein-Schmeink für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen hier im Hause! Ich habe heute Morgen
die Beratungen zu dem vorherigen Tagesordnungspunkt,
dem Bundeskinderschutzgesetz, gehört. Da habe ich
erstmalig eine sehr konstruktive Debatte erlebt, bei der
ich das Gefühl hatte: Alle hier im Saal wollen tatsächlich
zu neuen Lösungen kommen.

(Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
CSU])
Das würde ich mir für die Prävention in gleicher Weise
wünschen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN und der Abg. Stefanie Vogelsang
[CDU/CSU])
Entsprechende Äußerungen habe ich heute bislang vonseiten
der Regierungskoalition leider noch nicht gehört.
Das finde ich schade.
Man sieht anhand der drei Anträge, die wir hier in den
Bundestag eingebracht haben, dass sehr konstruktive
Vorschläge auf den Tisch gelegt worden sind. Sie sind in
Teilen unterschiedlich – man muss auch nicht alle Ansichten
teilen –, aber die Richtung ist im Grunde klar:
Wir müssen mehr für die Prävention tun. Wir müssen
mehr für die Gesundheitsförderung tun. Das dürfen wir
nicht einfach nur dem Wettbewerb der Krankenkassen überlassen oder aber daraus nur eine Sonntagsrede machen.
So ist es aber bislang. So dürfen wir nicht weitermachen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Wir haben heute relativ wenig Fakten und Zahlen bemüht.
Ich habe mir einmal angesehen, wie viel wir für
die Gesundheit ausgeben, und zwar über alle Sozialleistungsträger
gesehen. Das sind ungefähr 270 Milliarden
Euro. Wir geben gerade einmal 2,3 Prozent dieser
Summe für Prävention und Gesundheitsförderung aus.
(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das ist
ungeheuerlich!)
Genau das zeigt, wo derzeit die Schieflage ist. In dieser
Art und Weise können wir nicht weitermachen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Herr Singhammer und Herr Lotter, zu diesem Thema
hätte ich mir ein paar konkretere Hinweise gewünscht.
Sie haben gesagt: Im Grunde genommen ist alles, so wie
es ist, gut. Wir müssen noch ein bisschen mehr Kampagnen
machen und mehr guten Willen zeigen. Wir müssen
mehr Fantasie aufbringen und sehen, dass wir das eine
oder andere besser bündeln. Dann haben wir genug getan.
– Dazu kann ich nur sagen: Das reicht nicht.
Viele von Ihnen dürften auch in den Kommunen aktiv
sein und vielleicht auch Kommunalpolitik gemacht haben.
In den Kommunen sehen Sie, dass die Realität eine
vollständig andere ist. Die Menschen, die über die geringsten
Chancen auf Gesundheit und über wenig Bildung
verfügen, werden von den Präventionsmaßnahmen
bislang nicht erreicht. Da, wo in sozialen Brennpunkten
für diese Gruppen Projekte entwickelt und mühselig
finanziert werden, stellt sich nach zwei Jahren die Frage:
Wie wird dieses Projekt weiterfinanziert? Das ist heute,
zwölf Jahre nachdem wir Gesundheitsförderung und
Prävention ins Gesetz geschrieben haben, immer noch
die Realität. Das müssen wir ändern. Da sind wir alle gefragt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Wenn jetzt festgestellt wird, dass ein Richtungs- und
Prioritätenwechsel notwendig ist, dann muss er auch tatsächlich
angegangen werden. Wir werden nicht darum
herumkommen, entsprechende gesetzliche Regelungen
zu schaffen. Hier ist immer wieder davon die Rede, ein
Präventionsgesetz werde als Wert an sich bemüht und
nur zu mehr Bürokratie führen. Das Gegenteil ist der
Fall: Wir haben jetzt sehr viel Stückwerk, Leerlauf und
Bürokratie für Kleinstprojekte. Das ist die Realität, und
das müssen wir angehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Sie könnten dabei auf alle Vorschläge zurückgreifen,
die wir vorgelegt haben. Wir haben Vorschläge dazu gemacht,
wie man Bund, Länder und Kommunen an eine Tisch bringen kann. Der Wille dazu ist in den Ländern
und Kommunen vorhanden. Das ist kein Problem. Ihnen
brennen nämlich die Probleme auf den Nägeln; sie können
sich ihnen nicht entziehen. An dieser Stelle sind wir
gefragt, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit eine
verbindliche Finanzierungsgrundlage, Aufgabenzuteilung
und Aufgabenstellung zustande kommen. Das ist
unsere Aufgabe in diesem Saal und nirgendwo anders.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN)
Das ist das eine. Das andere ist: Auch bei den verschiedenen
Bemühungen der Krankenkassen müssen wir
feststellen, dass die bruchstückhafte Finanzierung, die
wir derzeit haben, sogar noch rückläufig ist. In der Zeit
der Großen Koalition sind Sie nicht vorangekommen,
obwohl Sie versprochen hatten, endlich etwas zu tun.
Wo aber sind wir gelandet? Im Stillstand.
Aber unter Schwarz-Gelb sind wir derzeit nicht einmal
im Stillstand; wir machen sogar Rückschritte.
(Dr. Erwin Lotter [FDP]: Na, na, na!)
Das ist die Realität, die Sie zur Kenntnis nehmen müssen.
Die Ausgaben für Prävention sind derzeit niedriger
als noch im Vorjahr. Sie werden in Zeiten von Zusatzbeiträgen
im nächsten Jahr weiter rückläufig sein. Das wissen
wir schon heute. Das muss doch Grund sein, uns
langsam darüber Gedanken zu machen, wo wir eigentlich
hinwollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Dieser Aufgabe müssen Sie alle sich stellen. Sie können
nicht einfach unterstellen, dass wir irgendeine bürokratische
Idee im Kopf haben. Darum geht es nicht. Es geht
vielmehr darum, eine vernünftige Grundlage zu schaffen.
Wenn Sie einen besseren Vorschlag haben, können
Sie ihn gerne vorlegen. Dazu werden wir, hoffe ich, in
der nächsten Zeit Gelegenheit haben.
So viel als Eingangsbemerkung. Gemessen daran,
was wir beim Thema Kinderschutz erlebt haben, wären
auch beim Thema Prävention konstruktivere Schritte nötig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN – Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]:
Dann hätte Ihre Kollegin aber anders einsteigen
sollen!)
– Es geht nicht darum, wer wie anfängt. Jeder hat es in
der Hand – Sie reden ja gerne von Eigenverantwortung –,
den Stil zu ändern.
Ich möchte aber auf den jetzigen Stand zu sprechen
kommen. Derzeit haben wir ein Wirrwarr von Zuständigkeiten.
An dieser Stelle können wir ansetzen. Dafür
brauchen wir das Präventionsgesetz. Wir haben keine
stabile Finanzierungsgrundlage. Auch dafür brauchen wir eine gesetzliche Regelung, wie auch immer Sie das
dann nennen. Das können Sie ja anders machen.
Darüber hinaus brauchen wir aber auch vernünftige
Strategien. Denn derzeit haben wir in der Tat verschiedene
Strategien, vor allem Marketingstrategien der
Krankenkassen; sie werden aber nicht zusammen betrachtet.
Das muss sich ändern. Wir müssen die Grundlagen
dafür schaffen und bestehende Initiativen wie „In
Form“ auf eine breite Plattform stellen. Wir brauchen
eine Übereinkunft darüber, dass das unser gemeinsames
Programm auf allen Ebenen ist.
(Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
CSU])
Das müssen wir als nationale Strategie ergänzend zu
dem gestalten, wofür wir die gesetzlichen Grundlagen
schaffen.
Diese Visionen brauchen wir. Diese Aufgaben müssen
wir angehen. Das können wir nicht einfach aussitzen,
indem nur ein bisschen analysiert wird, was derzeit
vorhanden ist, und allenfalls der Beitragsanteil pro Versicherten
weiter angehoben wird. Das kann nicht die Lösung
sein. Wir brauchen vielmehr eine Gesamtstrategie.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Wenn Sie, wie es vorhin der Fall war, versuchen, sich
mit dem Hinweis auf die persönliche Eigenverantwortung
herauszureden, dann ist das keine geeignete Strategie.
Sie alle wissen: Prävention und Gesundheitsförderung
sind Instrumente gegen die soziale Schieflage. Das
ist auf allen Ebenen bekannt. Diesem Thema müssen wir
uns stellen. Das können wir nicht, indem wir nur an die
Eigenverantwortung appellieren. Das ist ein Rückschritt
und führt in die Sackgasse. So werden wir nicht weiterkommen.
Befassen Sie sich mit unseren Vorschlägen, die wir
vorgelegt haben, statt sich an einer aus meiner Sicht zentralistischen
Stiftungslösung abzuarbeiten, und ziehen
Sie auch die anderen Ansätze heran, die Ihnen aufgezeigt
wurden.
(Dr. Erwin Lotter [FDP]: Da bleibt auch vieles
im Vagen!)
Gehen Sie mit uns in die Debatte und schauen Sie, dass
Sie noch in diesem Jahr etwas auf den Weg bringen.
Danke schön.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)