Video zur Rede
Video zur gesamten Debatte
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben hier wieder einmal eine Aktuelle Stunde, in der versucht wird, Flagge zu zeigen. Sie von den Mehrheitsfraktionen wollen Flagge zeigen in Richtung Freiberuflichkeit.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die haben Sie beantragt!)
Sie vonseiten der SPD versuchen, Flagge in Richtung Krankenkassen, in Richtung Versicherte, ein bisschen in Richtung Patienten – die kamen nicht so deutlich vor – zu zeigen.
Was wird gegeneinander ausgespielt? Freiberuflichkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite Korruptionsfreiheit, lauteres Verhalten. Diese beiden Dinge gegeneinander auszuspielen, ist nicht der richtige Weg.
Von beiden Seiten ist das tendenziös und wird der eigentlichen Aufgabe, die wir hier haben, in keinster Weise gerecht. Das finde ich in dieser ganzen Debatte
verlogen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Erstens können wir uns alle miteinander hier keine Debatte leisten, nach der es in den Schlagzeilen heißt: Ärzte dürfen Geschenke annehmen. Das ist eine Debatte und eine Schlagzeile, die sich keiner hier im Raum erlauben kann. Das ist nämlich ein Angriff auf das allgemeine Rechtsempfinden in der Bevölkerung. Es muss klar sein, dass Korruption nicht geht, dass Bestechlichkeit nicht geht, dass Vorteilsnahme nicht geht. Gleichzeitig muss aber auch klar werden, dass ein Arzt keine Sonderstellung gegenüber anderen Berufen hat. Wo kommen wir denn dann hin? Es gibt sehr viele Berufe, in denen das Ethos der Freiberuflichkeit gelten muss.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Da gilt doch das Gleiche!)
Nehmen wir die Rechtsanwälte, nehmen wir andere freie Berufe. Das muss überall gelten. Von daher ist die heutige Diskussion für alle Anlass, aufzustehen und zu sagen: Nein, das gibt es nicht, das ist nicht in Ordnung, und wir werden dafür Sorge tragen, dass Korruption, wenn sie doch vorkommt, sanktioniert werden kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir alles schon!)
Das ist die erste Aufgabe und Aussage, die deutlich im Raum stehen muss. Sie haben genau das Gegenteil gemacht. Sowohl der Minister als auch die Redner von der Koalition haben insbesondere auf die Freiberuflichkeit abgehoben. Das
haben Sie bewusst gemacht, weil Sie ein Signal an Ihre Klientel, an Ihre Wählergruppen, senden wollten. Darum ging es an dieser Stelle. Da brauchen Sie der Opposition nicht scheinheilig etwas anderes zu unterstellen. Das ist
einfach nicht lauter.
Zweitens dürfen wir hier nicht so tun – das ist hier passiert –, als gäbe es genug Regelungen, sodass wir nichts mehr zu tun bräuchten. Wir alle wissen, dass das nicht stimmt. Wir alle wissen, dass wir zwar sozialrechtliche Regelungen, juristische Regelungen und berufsrechtliche Regelungen haben, gleichzeitig wissen wir, dass Korruption im Einzelfall vorkommt. Wir wissen
auch, dass sie in einzelnen Branchen nicht nur in Einzelfällen vorkommt.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist ein Verstoß gegen die Regeln!)
Sie alle werden genau wie ich Zuschriften erhalten, in denen – im Übrigen häufig von Ärzten – mit großer Empörung berichtet wird, dass es diese Einflussnahmeversuche beispielsweise von Pharmafirmen gibt. Ich jedenfalls
erhalte diese Anschreiben. Ich denke, sie werden in gleicher Weise auch an alle anderen gegangen sein. Das heißt, wir haben weiterhin eine Aufgabe. Im
Urteil wurde dargelegt, dass es einen strafrechtsfreien Raum gibt. Die Rechtsprechung hat vorher versucht, ihn mit einem kleinen Trick zu füllen. Sie hat nämlich, indem sie die Ärzte in Amtsträger oder verlängerte Angestellte
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Mittelbare Angestellte!)
eines geschäftlichen Betriebes umfunktionierte, künstlich einen Straftatbestand geschaffen. Das ist jetzt gestoppt worden. Es ist gesagt worden: Nein, das ist keine ordentliche Grundlage. Lieber Gesetzgeber, überprüfe, ob es hier eine Strafbarkeitslücke gibt! Wenn ja, sorge dafür, dass eine neue Regelung getroffen wird. – Damit müssen wir uns jetzt sorgfältig beschäftigen. Das ist
schlichtweg die Aufgabe, die wir alle miteinander haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wenn ich das ganze Gerede, wir würden schon so viel machen, höre, dann kann ich nur daran erinnern: Im Ausschuss ging es um die Berichte über die Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. Was steht da drin? Darin heißt es: Wir wissen von nichts. Wir haben Daten, die nicht miteinander kompatibel sind. – 2004 sind diese Stellen eingerichtet worden. 2011 gibt es noch nicht einmal eine Übereinkunft darüber, welche Daten wir gemeinsam erfassen. Das ist doch Wahnsinn! Das ist doch kein Signal an die schwarzen Schafe, dass wir ernsthaft gegen sie vorgehen! Was heißt das eigentlich?
(Beifall der Abg. Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das sind die Aufgaben, die wir angehen müssen, und das werden unsere nächsten Schritte sein. Ich finde, es ist, gelinde gesagt, eine Frechheit, wenn wir auf eine Kleine Anfrage vom Ministerium die Antwort bekommen: Daten liegen uns nicht vor. Wir können sie leider auch nicht beschaffen. – Zu all den Verfahren, in denen es darum ging, zu erfahren, ob es berufsrechtliche Verfahren gibt und ob es zur Weitergabe von Verfahren an die Staatsanwaltschaft kommt, hieß es: Uns liegen keine Erkenntnisse vor. Uns liegen keine Daten vor. Welche Konsequenz wird daraus gezogen? Wird etwa
gesagt: Wir schaffen jetzt Transparenz? Nein. Ich denke, im Hinblick auf das Verfahren ist das ein Riesenfehler, ein Riesentort. Es muss doch als Erstes darum gehen, Transparenz zu schaffen. Denn sie ist die Voraussetzung
dafür, dass wir die schwarzen Schafe zunächst stringent erfassen und im nächsten Schritt eine vernünftige gesetzliche Regelung zur Strafbarkeit treffen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das wird die Aufgabe sein, die wir in Zukunft zu bewältigen haben. Ich bin gespannt, was nach den Ferien auf uns zukommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Mechthild Rawert [SPD])