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Protokoll der Rede (55. Sitzung des Deutschen Bundestages der 17. Wahlperiode)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollegin Maria Klein-Schmeink für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie immer bekomme ich die besonderen Stichworte von den Vorrednerinnen und Vorrednern der FDP. Das war auch dieses Mal der Fall. Wenn hier von Planwirtschaft gesprochen wird, dann muss man doch der FDP ganz klar vorwerfen: Sie sind marktradikale Anhänger einer Theorie, die die Steuerung der gesundheitlichen Versorgung dem Wettbewerb überlassen will.
(Ulrike Flach [FDP]: Das glauben Sie nicht wirklich!)
Das werden wir jedenfalls nicht mitmachen, und das wird auch der Großteil der Bevölkerung nicht mitmachen. Seien Sie sich dessen sicher!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie haben sich sehr viel Mühe gegeben, meine Vorredner und Vorrednerinnen von den Regierungsparteien, deutlich zu machen, es handle sich hier um ein faires Paket. Was fair daran sein soll, dass sämtliche Kostensteigerungen in der Zukunft allein von den Versicherten aufgefangen werden müssen – einmal über die Beiträge, zum anderen über die Zusatzbeiträge –, müssen Sie uns und der Bevölkerung einmal erklären. Ich glaube, das wird Ihnen nicht gelingen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Nicht zugehört!)
Wenn Sie in die Presse schauen, können Sie feststellen, dass keiner der Autoren Ihre Argumentation auch nur in Ansätzen nachvollzogen hat.
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Da lesen Sie die falschen Zeitungen!)
Alle sagen rundweg – Sie können sich den Pressespiegel anschauen –: Es handelt sich um einen faulen Kompromiss. – Es ist völlig klar: Die Zuwächse werden von den Patienten und von den Versicherten zu zahlen sein.
Das heutige Thema sind aber die Perspektiven der Gesundheitspolitik. Da stellt sich die Frage, welche Perspektiven eigentlich aufscheinen. Haben Sie uns überhaupt Perspektiven aufgezeigt? Als Erstes haben Sie es gerade einmal geschafft, das kommende Defizit in den Griff zu bekommen. Darauf sind Sie stolz wie Oskar. Ich verstehe diesen Stolz nicht. Sie hätten dieses Defizit gleich zu Beginn dieses Jahres durch einen Federstrich vermeiden können. Das wäre im Haushaltsgesetz leicht möglich gewesen. Sie hätten sich dieses ganze Theater sparen können. Es ist überhaupt kein Stolz angebracht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Herr Spahn, Sie haben gestern stolz darauf verwiesen, dass Sie etwas in Sachen Gesundheitspolitik geschafft haben, und gleichzeitig der SPD Versäumnisse vorgeworfen. Es sei daran erinnert: Dieses Defizit geht genauso auf Ihr Konto wie auf das der SPD. Machen Sie sich da keinen schlanken Fuß!
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Hätten Sie den Krankenhäusern nicht mehr Geld gegeben?)
– Darauf komme ich gleich. –
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Nein, das ist entscheidend!)
Sie brauchen acht Monate, um die Situation zu ändern. Das ist Ihr Kardinalfehler. Es geht gar nicht darum, dass es Kostensteigerungen gegeben hat.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aha!)
Sie haben dieses Defizit von vornherein im Gesetz einkalkuliert. Sie sind von einem Deckungsbeitrag für die GKV in Höhe von 95 Prozent ausgegangen. Alles andere haben Sie wissentlich in Kauf genommen. Das ist doch völlig klar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Deshalb standen Sie in der Verantwortung, für diese Situation eine Lösung anzubieten. Sie haben also keinen Grund, stolz zu sein.
Kommen wir zu den Perspektiven. Frau Aschenberg-Dugnus und viele andere haben angesprochen, dass uns die demografische Entwicklung große Probleme bereiten wird. Haben Sie bisher auch nur eine einzige Lösung auf den Tisch gelegt oder gesagt, wie Sie mit diesem Problem umgehen wollen? Keine einzige. Es hilft nicht, die ländliche Versorgung zu beschwören, wenn man keinen einzigen Lösungsbeitrag vorlegt. Es hilft auch nicht, einen Zusatzbeitrag einzuführen,
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt erzählen Sie mal, wie Sie damit umgehen!)
der gerade die Rentnerinnen und Rentner belasten wird, die es nicht schaffen werden, einfach in eine andere Krankenversicherung zu wechseln. Sie haben keine Lösung für die Probleme, die vor uns liegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Ich bin mir sicher: Sie werden bei der nächsten Wahl genau dafür die Quittung erhalten. In dieser Woche hat es eine Umfrage unter 1 200 Personen gegeben, von denen sich 80 Prozent für ein Solidarsystem mit einer paritätischen Finanzierung ausgesprochen haben – das wollen auch wir –, die aber auch Versorgungslücken gesehen haben und eine verbesserte Zusammenarbeit und mehr Investitionen in die Prävention gefordert haben. Das sind die großen Aufgaben, die wir angehen müssen. Davon haben Sie nicht eine einzige in Angriff genommen. Sie schieben das in die Zukunft. Kein einziges der strukturellen Probleme haben Sie auch nur annähernd gelöst.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
In den letzten Tagen habe ich immer nur gehört: Wir setzen auf Wettbewerb. – Welche Wettbewerbsstrukturen sollen denn sicherstellen, dass die Aufgaben der ortsnahen Versorgung und der Behebung des Fachkräftemangels auch nur annähernd bewältigt werden können? Das werden sie natürlich nicht. Das wird mit 160 im Kartenwettbewerb zueinander stehenden Krankenkassen, die ständig damit beschäftigt sind, welchen Zusatzbeitrag sie nun nehmen dürfen und welcher Zusatzbeitrag sie in diesem Wettbewerb schlecht dastehen lässt, nicht möglich sein. Mit so aufgestellten Krankenkassen werden Sie die drängenden Probleme in dieser Form nicht lösen können. Es hilft nicht, allein auf Wettbewerb zu setzen. Es ist vielmehr nötig, dass man eine sozial orientierte, eine solidarische und eine sozial verantwortliche Gesundheitspolitik und mehr Zusammenarbeit auf den Weg bringt. Genau dafür fehlt Ihnen jedes Rezept.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)