Was sind die Vorteile und Risiken beim Einsatz von Gesundheitsapps und Wearables? Was bedeutet dies für den Solidargedanken in der Krankenversicherung? Darüber habe ich mit der Deutschen Presse-Agentur (dpa) gesprochen. Schon vorab hatte ich in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung dieses Thema beleuchtet.
Wearables/Gesundheitsapps sind Thema in der Branche. Die Reaktionen reichen von völliger Ablehnung bis völliger Zustimmung. Worin sehen Sie die Vorteile solcher „Fitnessarmbänder“?
Maria Klein-Schmeink: Zunächst ist es wichtig zwischen Fitnessarmbändern, Apps und sogenannten Wearables, welche einfach nur einem Lifestyle- Zweck dienen, also zum Beispiel einfach die Schritte zählen und solchen, welche in irgendeiner Form dazu bestimmt sind die Gesundheit zu fördern, zu unterscheiden.
Fitnessarmbänder und Wearables, welche der Benutzerin oder dem Benutzer die Möglichkeit geben, ihren Trainingsfortschritt genauer zu verfolgen und sich gegebenenfalls durch entsprechende Rückmeldungen weiter motivieren zu lassen, bieten ein großes Potential gesundheitsförderndes Verhalten im Alltag zu fördern. Die Bewegung macht noch ein Stück weit mehr Spaß, wenn man sich abends anschauen kann, wie man sich im Vergleich zur letzten Woche gesteigert hat. Vielen macht so ein Rennen gegen sich selbst größeren Spaß als die schnöde, immer gleiche Runde durch den Park.
Gesundheitsbezogene Apps und Wearables bieten darüber hinaus die Möglichkeit, dass sie den Zugang zu Gesundheitsinformationen niedrigschwelliger gestalten können. Insbesondere bei chronisch Kranken könnten Gesundheitsapps und Wearables das Selbst- Management unterstützen. Der kürzere Draht zum Behandler oder die automatische Erinnerung aus der App könnte die Therapietreue bei dem Patient oder der Patientin erhöhen und so teure Krankenhausaufenthalte und Behandlungen vermeiden helfen. Auch für die Versorgung im ländlichen Raum bieten sich hier noch große Potentiale.
Worin die Nachteile?
Maria Klein-Schmeink: Wie in allen Bereichen, wo personenbezogene Daten erhoben werden, müssen wir auch hier an den Datenschutz denken. Im hochsensiblen Bereich der Gesundheitsdaten ist das noch wichtiger als ohnehin schon. Die Daten, welche durch den kleinen Begleiter am Handgelenk oder in der Hosentasche erhoben werden, dürfen nicht ohne das Wissen und die Zustimmung der Patientinnen und Patienten in die Hände Dritter gelangen. Uns ist es deshalb wichtig, dass die Patientinnen und Patienten die volle Souveränität über ihre Daten erhalten. Sie müssen jederzeit entscheiden können, was mit ihren Daten passiert.
Bei Gesundheitsapps und Wearables besteht die Gefahr, dass es durch Fehlfunktionen oder fehlerhafte Informationen zu gesundheitsgefährdendem Verhalten kommt. Auch taucht der Begriff der „Cyberchrondrie“ immer häufiger in der Diskussion auf. Darunter versteht man die Sorge, dass, durch die zunehmende Selbst-Vermessung oder falsche Krankheitsinformationen aus dem Internet, bestehende Krankheitsängste so weit geschürt werden, dass sie sich zu einer manifesten Hypochondrie auswachsen. Das ist noch gar nicht ausreichend erforscht.
Es wird nicht zu vermeiden sein, dass die großen Player in dem Markt, Google etc., die Chance nutzen, wenn sie sich bietet. Wie ist darauf zu reagieren?
Maria Klein-Schmeink: Dem stimme ich zu. Apple zum Beispiel hat ja spätestens mit der im letzten Jahr verkündeten Kooperation mit IBM im Bereich eHealth deutlich gemacht, dass sie zum Big Player in diesem Gebiet werden wollen. Das beobachten wir sehr genau, denn wie schwer sich das deutsche Datenschutzrecht durchsetzen lässt, wenn die Daten erst einmal auf den Servern der amerikanischen Internetriesen liegen müssen wir ja immer wieder erfahren.
Sollte dieser Markt nicht auch den heimischen Krankenkassen mehr geöffnet werden?
Maria Klein-Schmeink: Es ist sehr zu begrüßen, dass die Krankenkassen zunehmend auch auf digitale Anwendungen setzen um im Bereich Prävention und Versorgung noch schlummernde Potentiale zu heben. Einige Kassen haben da mithilfe von Selektivverträge schon vielversprechende Projekte initiiert. Wir müssen aber auch Wege finden, die wirklich wirksamen Anwendungen in die Regelversorgung zu integrieren.
Können die Kassen dann einen höheren Datenschutz bieten als Google und Co.?
Maria Klein-Schmeink: Die Krankenkassen sind als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung einem hohen Maß an staatlicher Einflussmöglichkeit und Kontrolle unterworfen. Daher kann man sehr wohl sagen, dass wir dort ein sehr hohes Datenschutzniveau garantieren können. Problematisch wird es nur auch hier, wenn zur Verarbeitung der Daten aus Gesundheits- Apps oder Bonusprogrammen externe Dienstleister eingesetzt werden.
Wie schätzen Sie das Problem Risikobewertung durch die Kassen ein?
Maria Klein-Schmeink: Das ist ein Problem, welches sich vordringlich im Bereich der privaten Krankenversicherung stellt. Hier müssen wir sehr genau hinschauen, wenn die privaten Krankenversicherungsunternehmen über Fitnesstracker oder Apps an Daten gelangen können, die es ihnen ermöglichen individuelle Gesundheitsprofile ihrer Versicherten oder potentieller Neukunden zu erstellen.
In der gesetzlichen Krankenversicherung herrscht ja das Solidarprinzip. Das heißt hier bemisst sich die Beitragshöhe an der individuellen Leistungsfähigkeit, also am persönlichen Einkommen und nicht am Krankheitsrisiko. Deshalb haben die Kassen eigentlich kein Interesse an einer Risikobewertung. Worauf wir aber immer achten müssen, sind Anreize und Möglichkeiten zur Risikoselektion, also Bestrebungen besonders junge und gesunde Versicherte in die eigene Kasse zu lotsen.
Auch wenn Kassen nur positiv auf (Eigen-)Leistungen ihrer Versicherten reagieren können (Bonussystem), birgt sich dahinter eventuell die Gefahr einer Aufweichung des Solidargedankens?
Maria Klein-Schmeink: Ja, hier verbirgt sich durchaus ein Einfallstor für eine Aufweichung des Solidarprinzips. Die Verbraucherzentrale NRW hat darauf mit einer sehr ausführlichen Studie im September 2015 aufmerksam gemacht und wir haben erst kürzlich mit einer kleinen Anfrage (BT-Drs. 18/9058) noch einmal den Finger in die Wunde gelegt. Und zwar hat die die Verbraucherzentrale festgestellt, dass sogenannte gesunde Einzelwerte, also Messwerte, die lediglich den positiven Gesundheitsstatus der Versicherten – im Gegensatz zu einer Honorierung eines gesundheitsfördernden Verhaltens – abbilden, im Durchschnitt knapp ein Drittel der gesamten Tarifbedingungen ausmachen (Verbraucherzentrale NRW, Untersuchung Bonusprogramme der gesetzlichen Krankenkassen, 14. September 2015).
Mit der Verwendung von solchen gesunden Einzelwerten wird der eigentliche Zweck von diesen Bonusprogrammen aber komplett konterkariert. Denn die können ja schließlich nur die Versicherten erfüllen, die bereits gesund und fit sind. Diejenigen wiederum, die beispielsweise chronisch krank sind oder aufgrund ihres Alters die Tarifbedingungen nicht erfüllen können, sind faktisch von der Prämienzahlung ausgeschlossen. Somit sind die Bonusprogramme in erster Linie nur für die jungen und fitten attraktiv, die durch die Boni quasi eine Beitragsermäßigung durch die Hintertür bekommen. Aber genau das, also unterschiedlich hohe Beiträge für junge und fitte auf der einen und ältere und chronisch Kranke auf der anderen Seite, soll das Solidarprinzip ja genau verhindern. Da müssen wir sehr genau hinschauen und gegebenenfalls gegensteuern. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage aber sehr deutlich zu erkennen gegeben, dass sie da lieber komplett wegschaut.
Mit freundlicher Genehmigung der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage "Verhaltensbasierte Versicherungstarife – Apps und Wearables in der gesetzlichen Krankenversicherung"