Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, dass zwei Drittel der privat Krankenversicherten bereits innerhalb von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten, während mehr als zwei Drittel der gesetzlich Krankenversicherten erst innerhalb eines Monats einen Termin erhalten, wie unter anderem eine Erhebung von Bundestagsabgeordneten der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus Nordrhein-Westfalen ergab?
Sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, wenn gesetzlich Krankenversicherte drei Wochen länger warten als privat Krankenversicherte, solange sie innerhalb eines Monats einen Termin erhalten?
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin Klein-Schmeink, zur Frage unterschiedlicher Wartezeiten für gesetzlich Versicherte und Privatversicherte liegen verschiedene Untersuchungen vor. Unbestritten ist, dass eine angemessen zeitnahe Behandlungsmöglichkeit Ausdruck eines funktionierenden medizinischen Versorgungssystems ist und daher in Deutschland für alle Versicherten gewährleistet sein muss, unabhängig davon, ob sie gesetzlich oder privat versichert sind.
Mit der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Regelung zur Reduzierung der Wartezeiten auf einen Facharzttermin sollen die Wartezeiten der gesetzlich Versicherten reduziert werden. Beabsichtigt ist, den Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen insoweit zu konkretisieren, dass diese verpflichtet werden, Terminservicestellen einzurichten. Aufgabe dieser Terminservicestellen wird es sein, gesetzlich Versicherten, die eine Überweisung zu einem Facharzt haben, innerhalb einer Woche einen Behandlungstermin bei einem Facharzt zu vermitteln. Die Wartezeit auf diesen Behandlungstermin darf im Regelfall vier Wochen nicht überschreiten. Kann die Terminservicestelle keinen Termin innerhalb der Vierwochenfrist vermitteln, ist sie – außer in medizinisch nicht begründeten Fällen – verpflichtet, dem Versicherten einen Behandlungstermin in einem Krankenhaus anzubieten. Damit kann sich der Versicherte darauf verlassen, dass er eine fachärztliche Behandlung innerhalb von vier Wochen erhält, sei es bei einem niedergelassenen Facharzt oder in medizinisch begründeten Fällen in einem Krankenhaus.
Vizepräsident Peter Hintze:
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. – Meine Frage war etwas genauer gestellt, weil wir in unserer eigenen Untersuchung, die wir kürzlich in NRW durchgeführt haben – eine solche hatten wir auch schon 2011 durchgeführt –, festgestellt haben, dass zwei Drittel aller Privatversicherten innerhalb von drei Tagen einen Termin beim Facharzt erhalten, während zwei Drittel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen einen solchen Termin erhalten. Das ist eine sehr deutliche Diskrepanz, ein Unterschied von durchschnittlich 23 Tagen. Da frage ich Sie: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, damit gesetzlich Versicherte nicht so deutlich oder gar nicht benachteiligt werden?
Vizepräsident Peter Hintze:
Frau Staatssekretärin.
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin, ich weise noch einmal darauf hin, dass angemessen zeitnahe Behandlungsmöglichkeiten und angemessene Wartezeiten insgesamt Ausdruck eines funktionierenden Versorgungssystems sind und daher für beide Patientengruppen, also gesetzlich Versicherte und Privatversicherte, zu gelten haben. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Unterschiede in den Wartezeiten unterschiedliche Ursachen haben können, was in den verschiedenen Untersuchungen nicht unbedingt zum Ausdruck kommt. Ursachen können tatsächliche Versorgungsengpässe sein. Da können wir Unterschiede insbesondere zwischen ländlichen und städtischen Regionen feststellen. Es kann von der Frequentierung des Arztes abhängen. Auch die Praxisorganisation kann eine Rolle spielen. Deshalb muss es uns insgesamt darum gehen, die Wartezeiten zu verkürzen. Das wollen wir in einem der nächsten Gesetzgebungsverfahren umsetzen.
Vizepräsident Peter Hintze:
Noch eine Zusatzfrage dazu?
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, ich habe noch eine Zusatzfrage. – Heißt das, dass Sie Wartezeiten von bis zu vier Wochen als zulässig im Sinne einer zeitnahen Behandlung ansehen? Das Verfahren mit den Terminservicestellen und der Termingarantie stellt ja auf vier Wochen ab. Wenn schon jetzt zwei Drittel aller gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen einen Termin erhalten, bleibt die große Frage: Ist es tatsächlich zeitnah, wenn die Wartezeit drei Wochen und mehr beträgt?
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin, welche Wartezeit angemessen ist, ist sehr stark vom individuellen medizinischen Einzelfall abhängig. Deshalb sind pauschale Aussagen dazu nur sehr schwer möglich. Aus unserer Sicht bieten Terminservicestellen die Möglichkeit, eine solche Beurteilung vorzunehmen.
Angesichts der insgesamt guten Versorgungssituation in Deutschland ist allerdings die Zugänglichkeit medizinischer Leistungen in unserem Land grundsätzlich auf einem hohen Niveau gewährleistet. Das gilt insbesondere auch für dringende medizinische Fälle.
Vizepräsident Peter Hintze:
Es gibt dazu eine Frage der Kollegin Haßelmann.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Widmann-Mauz, Ihren Antworten entnehme ich, dass die Bundesregierung bestreitet, dass es eine Diskrepanz zwischen den Wartezeiten von Privatversicherten und gesetzlich Versicherten gibt. Ich frage Sie, wie Sie das angesichts der vielen Untersuchungen und auch öffentlich immer wieder thematisierten Feststellungen, die in diesem Bereich getroffen wurden, weiterhin behaupten können.
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin, ich verweise an dieser Stelle ausdrücklich auf die Beantwortung einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann und anderer, Fraktion Die Linke, worin wir deutlich machen, wie viele unterschiedliche Untersuchungen mit sehr unterschiedlichen Aussagen es zu diesem Thema gibt. Zum Beispiel können Sie dieser Kleinen Anfrage entnehmen, dass einer Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aus dem Jahr 2013 zufolge 21 Prozent der GKV-Versicherten mehr als drei Wochen auf einen Termin warten. Das widerspricht den Aussagen, auf die Sie sich in Ihrer Fragestellung beziehen.
Es ist uns wichtig, dass die Menschen, egal ob gesetzlich versichert oder privat versichert, möglichst schnell, innerhalb eines angemessenen Zeitraumes von höchstens vier Wochen, Zugang zu einem niedergelassenen Facharzt oder der Behandlung in einem entsprechenden Krankenhaus erhalten. Es muss uns gemeinsam daran gelegen sein, dass sich die Situation, unabhängig von der Region und der sonstigen Versorgungssituation, für alle Versicherten in unserem Land verbessert.
Vizepräsident Peter Hintze:
Danke schön. – Da die Fragen 29 und 30 zusammen beantwortet wurden, stehen Frau Kollegin Klein-Schmeink noch zwei Zusatzfragen zu.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich komme jetzt noch einmal auf meine Frage zurück: Heißt das im Endeffekt, dass Sie eine Versorgung von gesetzlich Versicherten innerhalb von vier Wochen als zeitnah und angemessen betrachten, während Sie es als normal hinnehmen, dass Privatversicherte in der Regel innerhalb von drei Tagen einen Facharzttermin erhalten? Wollen Sie tatsächlich nichts gegen diese unterschiedliche Behandlung tun?
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin Klein-Schmeink, ich weise noch einmal darauf hin, dass die Frage, welche Wartezeit auf einen Arzt- oder Facharzttermin angemessen ist, aus der Situation des konkreten medizinischen Einzelfalls heraus zu beurteilen ist, da es sich einerseits um Notsitua-tionen und andererseits um planbare Facharztbesuche handeln kann, also eine sofortige Behandlung oder eine Behandlung innerhalb von wenigen Tagen nicht notwendig ist.
Es kommt für uns darauf an, dass genau diese medizinische Einzelfallbetrachtung im Vordergrund steht. Wartezeiten auf einen Facharzttermin von mehr als vier Wochen sind für uns nicht akzeptabel, es sei denn, es handelt sich um routinemäßige Kontrollen; aber auch das kommt auf den Einzelfall an. In der Regel ist in einem Zeitraum von vier Wochen eine gute medizinische Versorgung möglich. Das schließt natürlich nicht aus, dass sie deutlich schneller erfolgen muss, wenn es sich um entsprechende Notfälle handelt.
Vizepräsident Peter Hintze:
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? Das wäre dann Ihre letzte. – Bitte schön.
Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir haben sowieso eine ganz klare Regelung, was in Notfällen zu passieren hat. Insofern reden wir jetzt nicht über akute Notfälle, sondern über die Regelversorgung. Dabei geht es zum Beispiel um einen Termin beim Radiologen oder Hautarzt, der eine Kontrolluntersuchung macht, die einen fraglichen Befund mit sich bringt, was für die Patienten mitunter sehr belastend sein kann.
Ich frage Sie noch einmal: Wollen Sie als Maßstab für eine angemessene, zeitnahe Versorgung tatsächlich einen Zeitraum von vier Wochen hinnehmen? Das ist nämlich der Zeitraum, den ein gesetzlich Versicherter hinzunehmen hat, während sich nach etlichen Untersuchungen – im Übrigen auch der KBV selber – zeigt, dass Privatversicherte innerhalb kürzester Zeit – in der Regel innerhalb von drei Tagen; das ist in unserer Studie erneut unterlegt – einen Termin erhalten.
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit:
Frau Kollegin Klein-Schmeink, auch wenn Sie es mit einer vierten Nachfrage bei mir versuchen: Wir beurteilen keinen konkreten Zeitraum als Normzeitraum. Er ist vom individuellen medizinischen Einzelfall abhängig. Die Terminservicestellen, die wir in die Verantwortung der Kassenärztlichen Vereinigungen legen, können aufgrund einer Überweisung des Hausarztes für den Facharzt Beurteilungen vornehmen, inwieweit ein kurzfristiger Termin, zum Beispiel innerhalb einer Woche oder weniger Tage, für eine entsprechende Vermittlung erforderlich ist und wo aus medizinischen Gründen ein Zeitraum von bis zu vier Wochen durchaus akzeptabel sein kann. Längere Wartezeiten sind aus unserer Sicht nur in seltenen medizinisch begründeten Ausnahmefällen möglich. Deswegen wollen wir durch die Terminservicestellen insgesamt zu einer deutlichen Beschleunigung und zu mehr Sicherheit für die Patientinnen und Patienten beitragen und generell zu einer Verkürzung von Wartezeiten kommen.
Vizepräsident Peter Hintze:
Schönen Dank. – Die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Harald Terpe wird schriftlich beantwortet.
Anlage 17
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf die Frage des Abgeordneten Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 18/2567, Frage 31):
Warum packt die Bundesregierung das Problem der großen Wartezeitenunterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten nicht an der Wurzel, indem sie für ein einheitliches Honorarsystem im Rahmen einer Bürgerversicherung sorgt?
Die Gründe für Wartezeiten sind unterschiedlich: Neben möglichen Versorgungsengpässen kann insbesondere auch die besondere Frequentierung eines Arztes dazu führen, dass eine kurzfristige Terminvergabe nicht möglich ist. Die Einführung einer Bürgerversicherung würde diese Gründe für Wartezeiten nicht abstellen können. Eine gute, qualitativ hochwertige und gut erreichbare Versorgung überall in Deutschland mit Haus- und Fachärzten ist Voraussetzung, um diese Gründe für Wartezeiten zu beheben. Auch kann eine Terminservicestelle Abhilfe schaffen. Diese Punkte wird die Bundesregierung in einem Versorgungsstärkungsgesetz aufgreifen.
Sofern unterschiedlich lange Wartezeiten – unabhängig von anderen Gründen, zum Beispiel Versorgungssituation, Beliebtheit, Praxisorganisation und Auslastung der Arztpraxen – auch durch eine Anpassung der Regeln bei der Verteilung der Gesamtvergütung vermieden werden können, ist dies Angelegenheit der ärztlichen Selbstverwaltung, die hierfür hinreichenden Gestaltungsspielraum hat.
Das Nebeneinander von privater und gesetzlicher Krankenversicherung und der damit einhergehende Systemwettbewerb hat sich im Hinblick auf die Qualität der Krankenversicherung in Deutschland bewährt. Das deutsche Gesundheitssystem hat im internationalen Vergleich eine hohe Versorgungsdichte und ermöglicht allen Patientinnen und Patienten einen einfachen Zugang zu medizinischen Leistungen.