"BILD am Sonntag" hat mich zum Antragsverhalten der Krankenkassen gegenüber den Versicherten befragt, meine Antworten aber nur sehr verkürzt wiedergegeben. Darum hier meine Antworten in voller Länge:

1. Krankenkassen haben mit 21 Milliarden Euro Rücklagen das 4-fache der gesetzlichen Mindestanforderung auf der hohen Kante. Warum lassen Sie zu, dass die Kassen sich so ums Bezahlen herumdrücken können?
Das Verhalten vieler Kassen ist unmittelbar auch Folge des von Jens Spahn angefachten Wettbewerbs um den niedrigsten Beitragssatz. Wir haben von Anfang an davor gewarnt, dass der alleinige Preiswettbewerb zu Discounterkassen führt, die bei den Leistungen für die Schwächsten sparen. Deshalb wollen wir, dass die Qualität einen deutlich höheren Stellenwert bekommt. Die Versicherten müssen schnell erkennen können, bei welcher Kasse die Ablehnung von Anträgen zum Geschäftsmodell gehört und welche Kasse sich wirklich kümmert. Ein Indikator könnte beispielsweise die Ablehnungsquote bei Antragsleistungen sein.
Wir wollen, dass diejenigen Kassen belohnt werden, die sich um eine bessere Versorgung ihrer Versicherten kümmern.
2. Die Beschwerden der Versicherten beim Bundesversicherungsamt, den Patientenverbänden und den Sozialgerichten über die Kassen nehmen zu. Die Politik schaut zu, überlässt lieber den Kassen, Ärzten und Pharma-Unternehmen das Feld und ist auch noch stolz auf das System der "Selbstverwaltung". Warum mischen Sie sich hier nicht stärker ein?
Das tun wir. Die Selbstverwaltung ist ein tragendes Prinzip des deutschen Gesundheitswesens. Sie handelt aber nicht im luftleeren Raum, sondern im gesetzlichen Auftrag. Bei allen wesentlichen Entscheidungen sitzt das Bundesministerium für Gesundheit als Aufsicht mit am Tisch. Wenn etwas grundsätzlich nicht funktioniert, gibt es genügend Mittel für das Ministerium und damit auch für Jens Spahn, auf Verbesserungen hinzuwirken. Wir akzeptieren daher nicht, wenn sich die Bundesregierung hinter der Selbstverwaltung versteckt. Mit dieser Haltung gefährdet die Bundesregierung die politische Legitimation unseres Gesundheitswesens und auch der Selbstverwaltung.
3. Zwei Beispiele: Das Gesetz sieht vor, dass Leistungen der Kassen "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" sein müssen. Der MDK soll eingeschaltet werden, wenn es laut Gesetz "erforderlich" ist. In beiden Fällen entscheiden aber die Kassen selbst, wie das zu verstehen ist. Sind solche Regelungen nicht absurd und müssen geändert werden?
In erster Linie sieht das Gesetz vor, dass die Krankenkassen den Versicherten Leistungen zur Verfügung stellen. In § 2 Abs. 1 SGB V heißt es: "Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen". Durch mehr Transparenz und eine bessere Vergleichbarkeit der Kassen auch hinsichtlich ihrer Servicequalität und ihres Ablehnungsverhaltens würde offenbar, wenn das Wirtschaftlichkeitsgebot missbraucht wird.
4. Bei den Kassen entscheiden Nicht-Mediziner über medizinische Fragen. Und die MDKen, bei denen Ärzte arbeiten, schauen sich in der Regel auch nie einen Versicherten an. Ist dieser Umgang mit Menschen angemessen?
Seit Jahren weist der Bundesrechnungshof darauf hin, dass der MDK sich überwiegend mit der Prüfung von Krankenhausabrechnungen befasst und zu wenig Ressourcen vorhanden sind, um Patientinnen und Patienten nicht nur nach Aktenlage zu begutachten. Doch die Bundesregierung hat die Empfehlungen des Rechnungshofes bislang weitgehend ignoriert.
5. Der MDK ist formal unabhängig, aber defacto zu einem Instrument verkümmert, mit dem Krankenkassen ihre Einnahmen optimieren. Geht es in unserem Gesundheitssystem nicht letztlich nur ums Geld?
Das Gesundheitssystem wird ganz überwiegend aus Mitteln der gesetzlich Versicherten finanziert. Diese Beitragsmittel sind nicht unbegrenzt vorhanden. Vor diesem Hintergrund wird es immer notwendig bleiben, für eine bedarfsgerechte zugleich aber auch wirtschaftliche Versorgung zu sorgen. MDK-Gutachten müssen jedoch die medizinische Notwendigkeit von Leistungen beurteilen und nicht nach Kassenlage entscheiden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine stärkere Unabhängigkeit des MDK notwendig.